Geheimnisvolles Vogelsang. Eine Zeitreise.

25. Mai 2015

Irgendwo knackt es. Laut und beängstigend. Holz knarrt und Glas splittert bei jedem Schritt. Farbe blättert von Wänden. Schicht, für Schicht, für Schicht. Der Wind pfeift. Wirbelt Papiere und Listen mit kyrillischen Schriftzeichen durch die Luft. Zerrt wütend an vergilbten Gardinen. Stößt Fenster auf und wirft Türen zu. Ohnmächtig.

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Wenn ich meine Augen schließe und ganz still bin, kann ich das Leben hören, das hier einmal war. Zackig strenge Befehle, die durch den Wald hallen. Panzer. Ein russisches Volkslied, das aus dem Musikzimmer der Schule dringt. Das Lachen von Kindern. Geklapper von Geschirr in einem der Speisesäle. Leise verklingender Beifall nach einer Theateraufführung. Der letzte Vorhang fiel vor über 20 Jahren.

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Seitdem nagt der Zahn der Zeit an diesem Ort. An Vogelsang. Eigentlich ein Ortsteil von Zehdenick, ca. 60 Kilometer von Berlin entfernt, mit ungefähr 100 Einwohnern. Gleich daneben ein anderes Vogelsang. Auf einer riesigen Fläche. Mitten im Wald. Nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1994 lebten hier bis zu 15.000 russische Soldaten und Zivilisten. Herzlich willkommen auf einem der größten sowjetischen Militärstützpunkte in der DDR. Es gruselt mich, wenn ich darüber nachdenke, dass hier Nuklearraketen stationiert und gelagert wurden, die unter anderem auf Großbritannien und Frankreich gerichtet waren.

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Heute ist nur eine Geisterstadt übrig, die im Verfall begriffen ist. Die Abrissbirne schwingt durch den Wald und macht ein Stück Geschichte platt. Unwiederbringlich und nicht mehr zu fassen. Von hunderten Gebäuden sind viele schon nicht mehr da. Vandalen tragen ihren Teil dazu bei und die Natur holt sich zurück, was ihr gehört. Gras wächst. Drauf und drüber. Auf verfallenen Wohnhäusern, Hallen, Cafés, Kinos, Kindergärten, Schulen und, und, und.

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Noch weht ein Hauch Geschichte durch den Wald und beschwört eine bittersüße nostalgische Atmosphäre herauf. Bald wird auch davon nichts mehr zu spüren sein.

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