Kraniche gucken in Linum

31. Oktober 2021, morgens um sieben in Deutschland. Also, das glaube ich zumindest, denn ein wenig habe ich die Orientierung verloren, weil heute Nacht die Uhren umgestellt wurden. Los wollten wir jedenfalls um fünf, es wurde dann glaub sechs. Was für einen Sonntag ja schon ne Leistung ist, egal in welche Richtung die Zeit verdreht wird. Jedenfalls stehen wir jetzt recht früh am Tag am Rande eines Ackers, kurz vor Linum. Das ist ein kleiner Ort im brandenburgischen Landkreis Ostprignitz-Ruppin. In meiner Gedankenwelt bisher immer DAS Storchendorf. Jetzt kommen noch Kraniche hinzu. Es ist also ganz schön was los hier.

Der Tag beginnt dann so kitschig wie es nur geht. Es deutet sich schon auf der Fahrt im Rückspiegel an. Und dann vor Ort holt der Himmel Farben raus, die ich mir auch mit viel Phantasie nicht schöner hätte vorstellen können. Durch die Wolken sieht das alles irgendwie noch verrückter aus. Dazu diese Weite und nur vereinzelte Bäume im Blickfeld. Viel Raum zum Gucken. Zeitweise fühlt es sich wie in der Steppe eines fernen Landes an. Vielleicht dient das schon mal als Vorgeschmack für die Kraniche, damit sie wissen, wofür sie die anstehende lange Reise auf sich nehmen. Es wird sich lohnen. Ich hab das im Gefühl.

Sind wohl alle schon weg?

Außer uns ist hier nur ein Bauer und ein paar Milchkühe stehen auf dem Feld. Und dann noch diese Frau, die da wartet und traurig in den Himmel schaut. Als wir sie erreichen, sagt sie: “Sind wohl alle schon weg.” Ich merke, wie mein müdes Gesicht auch direkt ganz traurig guckt, weil ich ein wirklich ausgesprochen großer Kranich-Fan bin.

Es mag ein bisschen verrückt klingen, aber wenn im Herbst der Vogelzug beginnt, bin ich diejenige, die beim kleinsten Trompeten und winzigsten Schnattern sofort ihren Kopf aus dem Fenster steckt, auf den Balkon läuft oder aus dem Haus stürmt. Was auch immer notwendig ist, ich tue es. Oder falls ich eh schon draußen unterwegs bin, halt ich mal eben kurz die Welt an, um mich um die eigene Achse drehend den Himmel ins Visier zu nehmen – so lange bis ich sie entdeckt habe. Und dann schau ich einfach mit einem sehr zufriedenen Lächeln zu, bis ich auch den kleinsten Punkt am Horizont nicht mehr erkennen kann. Mit Gänsen ist es ganz genauso. Ich würd gern mal in Worte packen, was mich gefühlsmäßig dann immer ereilt. So genau kann ich es aber nicht formulieren. Eine Art Sehnsucht vielleicht oder das Bewusstsein, dass nun endgültig der Winter kommt.

Aber nun erstmal zurück ins Hier und Jetzt, wo der Mann gerade zu der pessimistischen Frau sagt, dass es da diese Website gibt und auf der steht, dass noch Pi mal Daumen 64.000 extra schöne Kraniche hier sein müssten. Stehend auf Feldern und eben auch in der Luft. Wer sich auskennt, weiß: Ein Kranich kommt selten allein. Und irgendwer zählt die regelmäßig kurz mal durch. Und darauf vertraue ich und weigere mich einfach, die Flinte ins Korn zu werfen. Es darf nicht sein, dass wir unverrichteter Dinge und ohne Kranich-Spektakel wieder abziehen. Nö, nö.

Deshalb bleiben wir auch einfach da stehen und dann dauert es auch nicht lange, bis wir für unser Vertrauen und die Geduld belohnt werden. Leises Trompeten hier und da, das immer lauter wird. Ich kneif die Augen zusammen, denn der Mann sagt, guck mal ganz da hinten über dem Feld, da steigen sie auf. Und tatsächlich! Schwarze Punkte in der Luft, ganz viele, die sich langsam erheben und in Grüppchen aufteilen. In alle Himmelsrichtungen fliegen sie davon, so einige von ihnen auch direkt über uns hinweg. Bei den meisten geht es sofort ganz geordnet in der bewährten V-Formation los. Manchmal wird hoch oben im Knäuel erst einmal noch über die genaue Route verhandelt. Trompetet wird dabei immerzu und ich – naja, was soll ich sagen – hab hier wieder ein sehr verlässliches Glücksrezept gefunden.

Ton an, Kraniche ab!

 

Tipps und Tricks fürs Kraniche gucken in Linum

In Europa ist Linum eines der größten Gebiete für die Rast der Kraniche. Dieses Jahr haben hier Mitte Oktober bis zu 80.000 Vögel Halt gemacht. Du kannst sie – so wie wir – morgens beobachten, wenn sie ihre Schlafplätze im Teichgebiet verlassen oder aber am Abend, wenn sie in großen Scharen zurückkommen. Auch tagsüber lösen sie sich natürlich nicht in Luft auf, sondern stehen auf den Feldern, um dort zu fressen.

Der Kranich ist in Deutschland zwar der größte heimische Vogel, seine Größe hält ihn aber nicht davon ab, auch sehr scheu zu sein. Wenn du die Tiere tagsüber auf den Felder beobachten willst, solltest du deshalb ausreichend Abstand halten, nicht auf die Felder fahren und möglichst versuchen, Gehölze als Deckung zu nutzen. Wenn du mit Hund unterwegs bist, dann solltest du diesen an der Leine führen.

Nicht alle Kraniche ziehen weiter, sondern einige überwintern auch hier. Du kannst sie also grundsätzlich das ganze Jahr über antreffen oder sie zu Beginn der Kranichsaison beobachten. Dann sind zwar noch nicht so viele Vögel da, aber auch weniger Schaulustige. Unter der Woche ist es außerdem besser, als am Wochenende. Wenn du ein Fernglas besitzt, solltest du es auf jeden Fall mitbringen.

Wann und wo du in Linum Kraniche beobachten kannst, erfährst du auf dieser Seite und noch mehr Anregungen für Erlebnisse in Brandenburg findest du hier.

Gefällt dir dieser Artikel? Dann hinterlasse gern einen Kommentar oder teile ihn mit anderen Kranich-Fans. Wenn du informiert werden willst, sobald ein neuer Beitrag von mir online ist, kannst du meine News per RSS-Feed abonnieren, zum Beispiel über Bloglovin oder Feedly. Und weil es manchmal etwas länger dauert, bis es ein neues Erlebnis auf den Blog schafft, folge mir auf Instagram, denn dort gibt es zumindest regelmäßig Stories zu sehen.

Fotocredit: Die beiden letzten Bilder zu Kraniche in Linum (c) Matthias Zwanzig.

Like it? Pin it!