Wie so oft, sind wir auch auf unserer heutigen Wanderung entlang der Havel im Gänsemarsch unterwegs. Der Mann stiefelt auf einem schmalen Pfad vorne weg und ich hinterher. Nicht immer dicht auf, weil ich mich gerne mal verzettel – mit Blüten, Vögeln, Schmetterlingen – was mir halt so ins Auge springt. Dann vergesse ich die Zeit und muss später flitzen, um wieder aufzuholen. Zum Leidwesen des Mannes, der ständig auf mich warten muss. Manchmal ermahnt er mich, wenn wir wieder gar nicht voran kommen. Insgesamt trägt er meine Bummelei aber mit Fassung. Guter Mann.
Nur stur laufen, geht bei mir halt nicht. Ich schaue Mutter Natur einfach zu gern über die Schulter und gucke, was sie so macht. Gerade jetzt, im Frühjahr, ändert sich das ja von Woche zu Woche, denn sie ist wieder aufgewacht, die alte Schlafmütze. Nun macht sie sich zurecht und möchte sicher – auch wenn sie das niemals zugeben würde – ein bisschen dafür bewundert werden. Sonst wäre ja auch alles für die Katz. Wozu die ganze Mühe, wenn es keinen interessiert.
Also schaue ich ihr zu. Auch wie sie hier und da zur Erfrischung ins Wasser steigt. Das mag ein bisschen voyeuristisch sein, aber es geht fast nicht anders. Denn Wasser gibt es hier jede Menge, umgeben von Wolken und Bäumen – oben vorm blauen Himmel und auch unten auf der Oberfläche der Gewässer. Wie ein Spiegel sieht das aus, bis Herr und Frau Gans mit der Kinderschar drüber schwimmen und neben lautem Gegacker auch Wellen machen. Dann sieht der Himmel im Wasser ganz schön zerknautscht aus, kriegt sich aber schnell wieder ein.
Oh, oh, ich muss erneut ein Stück flitzen, um aufzuholen. Ein Schulterblick lohnt sich dabei immer, denn hin und wieder kommt von hinten mal ein Radfahrer. Rechts neben mir fließt still die Havel dahin, mit Kanus drauf und manchmal gluckert ein kleines Motorboot hinter dem Schilfvorhang vorbei. Die größeren Schiffe halten in der Marina noch Winterschlaf, so scheint es. Und das bei diesem Wetterchen. Für mein Gefühl, wird es auch für sie langsam Zeit aufzuwachen und in den Frühling zu starten.
Ein Stich am anderen oder wie sich der Tag schleichend zu einer Bildungs-Wanderung entwickelt
Das viele Wasser hier ist übrigens nicht nur die Havel, sondern auch unzählige, so genannte Tonstiche. Alle mit eigenem Namen, wie der Prerauer Stich, der Döbertstich oder auch der Raminstich. Und damit ist die Liste längst nicht komplett. Vor lauter Stichen, die sich hier links und rechts der Havel befinden, kann einem ganz schwindelig werden. Und es dauert nicht lange, bis sich die Frage aufdrängt, was es damit auf sich hat.
Wir stellen ein paar Mutmaßungen an, befragen unterwegs schon mal Google und lesen später nochmal genauer nach, um herauszufinden, dass die Stiche während der Industrialisierung entstanden sind. Denn Ende des 19. Jahrhunderts wurde beim Bau einer Eisenbahnlinie entdeckt, dass unter den Havelwiesen jede Menge Ton liegt, der dann bis in die 1990er Jahre abgebaut wurde. Das hat natürlich Lücken hinterlassen, die sich später langsam mit Wasser füllten. Das fabelhafte Ergebnis ist nun zwischen Zehdenick und Burgwall als Naturlandschaft zu erleben, die in Deutschland einzigartig und wunderschön ist. Neben Wasser gibt es Feuchtwiesen, Sümpfe und Moore. Den Vögeln gefällt es und so machen im Frühjahr und Herbst Kraniche hier gern eine Rast.
Stumme Zeugen schauen überall raus
Doch nicht nur das viele Wasser erinnert an diese Zeit. Immer wieder entdecken wir noch andere stumme Zeugen, die von weitem aus den Wiesen herausschauen. Schornsteine. Denn der gefundene Ton wurde direkt hier zu Ziegeln verarbeitet und dazu brauchte es Ziegeleien.
Der Ziegeleipark, der sich unweit von Mildenberg befindet, zeugt heute als Industriedenkmal von dieser Ära, deren Beginn auf das Jahr 1887 zurückgeht. Damals waren die Tonvorkommen in Werder (Havel) beinahe erschöpft und so wurde die Gegend um Mildenberg Anfang des 20. Jahrhunderts ziemlich rasant zu einem der größten zusammenhängenden Ziegeleigebiete Europas. Vor allem weil Berlin immer weiter wuchs und somit viel Baumaterial benötigt wurde. Die Havel war als Transportweg bestens geeignet und mit Lastkähnen machten sich die Ziegel so auf den Weg.
Mit 625 Millionen Mauerziegeln im Jahr war 1910 ein Höhepunkt erreicht. Während der Weltwirtschaftskrise ging die Produktion jedoch stark zurück und einige Ziegeleien wurden aufgegeben. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg lebte der Industriezweig hier in der Gegend nochmals so richtig auf. Klar, denn für den Wiederaufbau wurden Unmengen von Ziegelsteinen und Dachziegeln benötigt. Als in den 1960er Jahren dann die Plattenbauten ihren Durchbruch hatten, versanken die Ziegel langsam in der Bedeutungslosigkeit und nach der Wende war dann endgültig Schluss und der Betrieb wurde eingestellt.
Wanderung entlang der Havel: Ziegeleipark Mildenberg
Im oben schon erwähnten Ziegeleipark Mildenberg wird gezeigt, wie das damals so war mit der Ziegelproduktion. In Ausstellungen wird unter anderem über die Herstellungstechnik informiert. Aber auch über die Arbeitswelt der Ziegler, die als Wanderarbeiter saisonal eingestellt wurden und unter schlechten Bedingungen lebten, kann man etwas erfahren. Im Park gibt es einige Feldbahnen, die auch noch betriebsfähig sind und in denen man als Besucher über das Gelände mitfahren kann. Oder man steigt in die Tonlorenbahn und macht eine Fahrt durch die Tonstichseenlandschaft. Sogar Ziegel kann man hier ein Mal im Jahr selbst formen und anschließend werden die sogar gebrannt.
Da wir während Corona hier waren, hatte leider alles geschlossen. Beim nächsten Mal will ich mir das aber ganz gern anschauen und auch eine Runde in einer dieser Bahnen drehen. Denn dafür, dass wir ganz unbedarft nur zu einer Wanderung aufgebrochen sind, hat uns der Tag nicht nur zu viel Bewegung verholfen, sondern überraschend auch noch ein paar neue Erkenntnisse gebracht, die ich jetzt natürlich gern vertiefen würde. Wandern bildet also auch und das finde ich gerade ziemlich dufte! Und selbst wenn du mit Ziegeln absolut nichts am Hut hast, kann ich dir die Gegend und eine Wanderung hier wirklich nur ans Herz legen.
Gut zu wissen
So, wie üblich kommen hier noch ein paar Infos und Tipps für dich. Die Beschreibung der Strecke unserer Wanderung entlang der Havel habe ich ganz hinten dran gepackt, weil die zu einer übelst langen Wurst mutiert ist. Bis ich eine Lösung gefunden habe Outdooractive davon zu überzeugen, dass man die Route so gehen kann, wie ich es sage, musst du erstmal damit leben.
Wo: Die Stadt Zehdenick befindet sich im Landkreis Oberhavel in Brandenburg. Ab Prenzlauer Berg musst du für die Fahrt mit dem Auto etwas mehr als eine Stunde einplanen. Geparkt haben wir in einer Seitenstraße in der Nähe der Schleuse Zehdenick.
Streckenlänge: ca. 17 Kilometer
Reine Gehzeit: ca. 4,5 Stunden
Ziegeleipark Mildenberg: Als wir da gewesen sind, war der Ziegeleipark aufgrund der Corona-Einschränkungen leider geschlossen. Inzwischen ist er aber wieder geöffnet und du kannst ihn täglich zwischen 10 und 18 Uhr besuchen. Der letzte Einlass ist um 17 Uhr. Mehr Informationen findest du auf der Website. Weil nichts über eine schöne Rast geht, findest du mit dem Gasthaus „Alter Hafen“ ganz in der Nähe und direkt an der Havel eine Einkehrmöglichkeit. Schau am besten auch hier auf der Website nach den aktuellen Öffnungszeiten und ob du reservieren musst. Weitere Restaurants gibt es in Zehdenick – da sind mir rund um die Schleuse ein paar aufgefallen.
Wanderung entlang der Havel: zusätzliche Tipps
- Für Wanderer: Solltest du zu den Menschen gehören, die sich in das Abenteuer Fernwanderung stürzen, dann lass dir gesagt sein, dass eine Etappe des Europäischen Fernwanderwegs E10 ebenfalls am Ziegeleipark Mildenberg vorbei führt. Und zwar ist das die von Dannenwalde nach Zehdenick.
- Für Radfahrer: Der Ziegeleipark Mildenberg befindet sich übrigens direkt am Radweg Berlin-Kopenhagen, den wir auch für ein Stück in unsere Wanderung integriert haben. Solltest du diesen befahren, kannst du hier also einen kleinen Stopp einlegen.
- Für Wassersportler: Wenn du eher eine Wasserratte bist, dann vermietet die „Marina Alter Hafen“ unter anderem Sportboote und Kanus. Und bei DIE BOOTSCHAFT kannst du dir gleich ein ganzes Hausboot mieten.
- Was hier sonst noch so geht, erfährst du auf der Website von Zehdenick Tourismus.
Streckenverlauf unserer Wanderung entlang der Havel
Auf unserer Wanderung entlang der Havel hat wie immer der Mann die Führung übernommen und uns mit Hilfe von Outdooractive kreuz und quer durch die Landschaft navigiert. Los ging es an der Schleuse Zehdenick und zwar so, dass kurz darauf rechter Hand die Havel lag (am anderen Ufer siehst du zuerst das kleine Havelschloss, dann die Marina Zehdenick). Auf schmalem Pfad zwischen Kinderstich und Prerauer Stich ging es immer weiter an der Havel entlang.
Der Weg führt bis zu einer Brücke, hinter der man nur nach links abbiegen kann und bald zum Raminstich gelangt. Dort angekommen, sind wir nach rechts abgebogen und dann dem Weg „Am Welsengraben“ längere Zeit gefolgt, am Radkestich vorbei und direkt dahinter an der „Siedlung 1“ ging es wieder rechts herum. An Kleingärten führt ein kleiner Pfad vorbei und zwischen Döbertstich und Havel hindurch direkt bis zur Marina Neuer Hafen und dem Ziegeleipark. Dort haben wir eine kurze Rast gemacht – zum Glück mit Schnittchen auf Tasche, denn wegen Corona war alles rundherum geschlossen.
Nach der Pause ging es ein kurzes Stück des Weges zurück und dann weiter auf dem Radweg Berlin-Kopenhagen zwischen Döbertstich und Stackebrandts Pappelstich hindurch, bis zur anderen Seite der „Siedlung 1“. Von da aus sind wir u. a. über Feldwege bis nach Mildenberg gelaufen und wieder zum Raminstich, ein kurzes Stück an der Eisenbahnstrecke entlang und bis zur Havel. Nach rechts ging es wieder unter der Brücke hindurch und zurück auf den Weg, auf dem wir auch hergekommen waren und der uns zurück nach Zehdenick führte. Das klingt jetzt wahrscheinlich ziemlich kompliziert, aber mit einer App lässt sich das wirklich gut nachvollziehen.
Lust auf mehr?
Hast du nach dieser Wanderung entlang der Havel Lust auf mehr? Dann habe ich hier noch ein paar Inspirationen für Wanderungen und Ausflüge in Brandenburg für dich.
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Fotocredit: Bild von mir auf der Bank © Matthias Zwanzig
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