Neulich in Berlin #2: Über homöopathische Séancen am Mittag

19. Juli 2018

Ich hatte einen Termin mit einem Tierarzt vereinbart. Ein neuer. Gefühlt der zehnte. Aber meine Katze Klein hatte einen Tick und da scheute ich keine Mühen, um das geliebte Tier wieder salonfähig zu bekommen. Im Grunde war ich anfangs ganz zufrieden mit meiner Wahl. Der Doktor würde zum Hausbesuch erscheinen. Das spart einiges an Nerven, wenn man das singende, klingende Kätzchen nicht durch den halben Kiez schleppen muss. Vier Kilo plus Transportkoffer leiern die Arme auf Dauer echt aus. Insgesamt macht man keine gute Figur bei so einer Aktion und die Leute glotzen. Also habe ich zugeschlagen. Am vereinbarten Tag wartete ich geduldig. 11 Uhr war angesagt, gegen 12 klingelte er. Musste noch zur Post.

Ein kleiner Mann war das. Seine Frisur hatte sich unter der Mütze zu einem Nest verformt. Seine schlaue Brille war kurz davor, von der Nase zu rutschen. Auch die Bibliothek, die unter seinen Armen klemmte, geriet langsam aber sicher aus dem Gleichgewicht. Noch bevor alles zu Boden ging, machten wir es uns zu dritt gemütlich. Saßen um den bzw. auf dem Tisch. Die Katze, das Medium und ich zwischen Bücherstapeln, Ordnern und Zetteln. Willkommen in der Welt der Homöopathie.

Der Doktor, seines Zeichens zuständig für Pferde und Kleintiere aller Couleur war ein ganz erstaunlicher Mann. Sein Interesse für Tiere schien nämlich nicht besonders ausgeprägt. Zumindest Katzen gingen ihm offenbar glatt am Arsch vorbei. Zumindest ignorierte er sie, so gut es ging. Wenn ich es mir recht überlege, waren nur ein, maximal zwei Berührungen drin. Irgendetwas sagte mir, dass Pferde eher sein Ding waren. Vielleicht war es der Geruch von Land, der intensiv aus allen Fasern seiner Kleidung kroch.

Weil er mit der Katze nichts zu tun haben wollte, stand ich während unserer kleinen Séance die ganze Zeit im Mittelpunkt seines Interesses. Unentwegt musste ich Fragen beantworten. Diese drehten sich allesamt um den Charakter des Tieres, das da vor uns saß und uns gelangweilt musterte, gähnte, einschlief. Als könnte man so ein vielschichtiges Wesen einfach so in Worte fassen.

Ich hatte mir vorher kein Bild gemacht, wie dieser Versuch ablaufen würde. Dass es sehr lange dauern konnte, um die richtigen Kügelchen zu identifizieren. Man viel eingrenzen und ausschließen und dann in einem Handbuch nachblättern muss. Eins von diesen extra dicken Büchern bei denen all das Wissen auf extra dünnes Papier gedruckt wurde. Tausend Seiten Schabernack.

Da er zu keinem Schluss kam, wurden zur Sicherheit weitere Bücher zur Rate gezogen, neue Fragen in den Raum und die Stirn in Falten geworfen. Gefolgt von verzweifeltem Wühlen im Haarnest und nervösem Übereinanderschlagen der Beine. Nach links, nach rechts und alles wieder auf Anfang. Denkpausen wurden eingelegt und viele „mmh, mmh, mmh´s“ in den Sätzen verbaut. Um die Wertigkeit der eigenen Gedanken zu untermauern oder das Gegenüber in den Wahnsinn zu treiben. Es liegt mir eigentlich fern, mich darüber lustig zu machen. Aber ich muss. Hin und wieder hatte ich auch schon an mir selbst mit derlei alternativen Mitteln herum experimentiert. Von Erfolgen würde ich eher nicht sprechen. Skepsis war angebracht. Ich hätte es besser wissen müssen.

Während ich so saß, wurde mir schnell langweilig. Ich entfernte mich gedanklich. Schaute und hörte mir das zeitweilig aus einer gewissen Distanz an. Dann wurde mir unwohl. Wer sagt mir eigentlich, dass das wirklich ein Tierarzt ist und nicht irgendein Freak? Einer, der sich in Wohnungen mogelt, um wer weiß was zu tun. Für diesen Vorstellungshokuspokus hatte ich viel Zeit, die einfach nicht vergehen wollte. Der fremde Mensch stellte sich mir für fast zwei Stunden zu Beobachtungszwecken und Mutmaßungen zur Verfügung. Ab irgendeinem Zeitpunkt trieb mich die Frage um, wie viel so ein mobiler und philosophisch extrem gut ausgebildeter Experte pro Stunde wohl kosten würde. Ich hatte einfach keine Ahnung. Ich wollte ihn loswerden.

Bezüglich der Bezahlung war er mit sich selbst uneins. Entschied sich dann jedoch, dass seine Dienste und die beiden ausgewählten, mikroskopisch kleinen Kügelchen doch so 75 Euro wert sein könnten. Damit haben Klein und ich dann kurz Homöopathie gemacht. Von dem identifizierten Präparat sollte sie 2 Stück in 1ml Wasser aufgelöst direkt ins Maul bekommen. Einmalige Anwendung. Gefühlt gingen von diesen unglaublichen Wassermassen zwei Drittel daneben, weil der Tierarzt nicht willens oder in der Lage war, die Katze zu berühren. Somit geriet auch der Schreibtischstuhl ganz unfreiwillig in Behandlung. Lange Zeit war ich auf die Resultate gespannt. Bei beiden. Auch war ich mir nicht sicher, ob ich dem Stuhl ebenfalls Frischfleisch servieren und ihn auf die Spaziergänge mitnehmen sollte, die mir für die Katze angeraten wurden.

Als der Medizinmann endlich weg war, habe ich gelüftet und sehr lange vor mich hingestarrt. Merkwürdiger wurde der Tag zum Glück nicht.

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