Unser erster richtiger Tag in Oman bricht an. Es ist 6.30 Uhr. So früh stehe ich in Deutschland nicht auf, wenn es sich vermeiden lässt. Nicht weil ich nicht will, sondern weil ich nicht kann. Für ein nachtaktives Wesen wie mich ist das immer wieder aufs Neue eine Herausforderung. Dem frühen Vogel winke ich deshalb meist nur halbherzig und schlaftrunken zu und wünsche ihm eine gute Reise, dahin wo der Pfeffer wächst. Aber heute ist alles anders. Nach 11 Stunden Tiefschlaf, bedingt durch die anstrengende Anreise, gibt es fast keinen inneren Konflikt. Die eigene Neugierde übernimmt erfreulicherweise die Drecksarbeit und befördert mich mit einem zarten Tritt aus dem Bett. Ich schätze es sehr, wenn ich morgens keine Gründe finde, auf irgendwen sauer zu sein.
Und so beginnt der Tag beinahe schon gut gelaunt. Der Blick aus dem Küchenfenster bestätigt meine Annahme, dass alles seine Richtigkeit hat. Und während ich später auf der Dachterrasse genüsslich an meinem Frühstückskaffee nippe und mit wach werden beschäftigt bin, sausen die ersten Gedanken und Fragen in meinem Kopf um die Wette. Denn eine Sache haben alle Reisen gemeinsam: Ich nehme meine Umgebung viel bewusster wahr. Jedes Geräusch, jedes Detail, jeder Geruch wird absorbiert und analysiert. Alles wird genau beobachtet und studiert.
So auch die Häuser, die hell gestrichen vor mir stehen, mit ihren unzähligen Satellitenschüsseln auf den Dächern und Bewohnern in ihren Bäuchen. Wer wird da wohl leben, lieben, streiten hinter all den Fenstern? Wer sind diese Stadtbewohner, die in ihren Gewändern über die Gehwege huschen? Wo kommen sie her, wo wollen sie hin und wie zum Geier schaffen sie es, immer auszusehen, als wären sie gerade frisch geschlüpft, gestärkt, gebügelt? Das fasziniert mich ungemein und es ist ganz sicher nicht der schlechteste Kleidungsstil, den sich vor allem die Männer in Oman über helfen. Fesch, denke ich und dann wird meine Aufmerksamkeit auch schon von etwas anderem gefordert.
Denn hinter den Menschlein unten vorm Haus transportiert die moderne Straße moderne Fahrzeuge, die gern und oft hupen. Meist erschließt sich nur nicht, warum sie das tun. Vielleicht zur akustischen Untermauerung der unbegrenzten Fahrfreude. Vielleicht wollen sie die Berge grüßen, die sich hinter der Straße erheben und schon so viel von all dem gesehen und gehört haben. Und auch immer dabei waren, wenn die Sonne aufging, so wie jetzt.
Sie wirft ihre Strahlen auf die Dattelpalmen zu unseren Füßen und auf die anderen Bäume ringsherum, in denen die Spatzen zwitschern. Irgendwo in der Nähe kräht ununterbrochen ein Hahn und die Tauben des Nachbarn gurren sich liebevoll zu, bevor sie gemeinsam durch die kühle Morgenluft flattern. Und ich? Habe jetzt schon so viel nachgedacht, es aber noch immer nicht richtig begriffen: Wir sind in Oman. Das fühlt sich irgendwie ziemlich verrückt an und dieses Gefühl wird mir den ganzen Tag erhalten bleiben.
Warum mich das Wadi Tanuf immer an eine Geisterbahn erinnern wird
Den Einstieg in die fremde Welt beginnen wir im Wadi Tanuf, einem ausgetrockneten Flussbett, das nur nach starkem Regen Wasser führt. Wir wandern lange die weite und staubige Piste entlang. Durch die Schlucht und zwischen den hohen Felswänden hindurch, vorbei an riesigen Felsbrocken und saftig grünen Sträuchern und Bäumen. Berge soweit das Auge reicht. Hier kann man gar nicht anders, als sich staunend und mit offenem Mund endlos im Kreis zu drehen und direkt danach rückwärts über eine Ziege zu fallen, denn die begleiten uns die ganze Zeit auf unserer Entdeckungstour.
Neugierig trotten sie neben uns her oder sitzen hier und da auch mal halb in einem Baum. Das zottige Fell vom Winde verweht, knabbern sie an den saftigen Blättern und schielen auf uns herab. Und während ich noch denke, dass die ganz schön niedlich sind, stockt mir der Atem. Verursacht durch etwas, das sich nach verlassener und rostiger Geisterbahn mit defekter Soundanlage anhört. Was für ein krankes Geräusch, das ich fast nicht in Worte fassen kann. Ein verzerrtes Jammern und Wehklagen, das mal lauter und dann wieder leiser durch die Gegend hallt. Es dauert einen Moment bis mir klar wird, dass die Felsen das Meckern der Ziegen einfangen und sich gegenseitig zuwerfen. Bei einer Nachtwanderung würde ich an dieser Stelle die Nerven verlieren. Gruseliger geht es fast nicht. Ach, doch!
Als wir zu unserem Auto zurück wollen, müssen wir an einem anderen Fahrzeug vorbei. Fünf bis sechs junge Männer stehen daneben und schauen erst nur zu uns rüber. Irgendwann fangen sie an hinter uns – oder wohl besser hinter mir – her zu pfeifen. Immer wieder und wieder. Es ist kein freundliches Pfeifen, keines worüber ich lächeln kann. Es klingt aggressiv und uns ist sehr unwohl in diesem Moment. Wenn man nicht weiß, ob es Spaß ist oder nicht und was wohl als nächstes passieren wird.
Losrennen oder nicht. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Als würde es raus wollen und davon laufen, wenn wir es schon nicht tun. Wir gehen schneller. Ich bin wirklich kein ängstlicher Typ, aber diese Situation war mir nicht geheuer. Schon in diesem Moment ging es mir so und auch rückblickend bin ich mir ziemlich sicher, dass das keine Omanis waren. Denn die habe ich den gesamten Urlaub hinweg in einem Stadium zwischen höflicher Ignoranz (sehr selten) und überwältigender Herzlichkeit (andauernd) erlebt. Es gab keinen einzigen Grund für schlechte Gefühle.
Keine Ahnung, wo diese durchgeknallten Wegelagerer herkamen. Wir schaffen es jedenfalls ohne Sprint zu unserem Fluchtfahrzeug, das allerdings von sämtlichen Ziegen des Tals umzingelt ist. Der beste Platz weit und breit, um ein schattiges Nachmittagsnickerchen zu halten. Dafür, dass wir sie aufschrecken, ernten wir ein paar verträumte Blicke. Und bevor wir in einer großen Staubwolke verpuffen, meckern sie zum Abschied. Dieses Mal ganz leise.
Die traurigen Ruinen des Dorfes Tanuf
Der Puls normalisiert sich und wir halten auf unserer Weiterfahrt auch kurz am alten Ort Tanuf, dessen Ruinen aus zerfallenen Lehmmauern an einen Aufstand erinnern, der von Mitte bis Ende der 1950er Jahre stattfand. Bei einem Luftangriff des Sultans Sai’d bin Taymur und der Briten wurde das Dorf 1959 so stark zerstört, dass sich ein Wiederaufbau nicht gelohnt hätte. Es heißt, dass einige der Bomben noch dort zu finden sind, genau wie die Gräber vieler Frauen und Kinder, die während des Angriffs in ihren Häusern waren. Ein trauriger Ort also, der dennoch einen Abstecher wert ist. Weiterführende Infos in Englisch findet ihr zum Beispiel hier.
Traditionelle omanische Wohnkultur im Palast von Jabrin
Für uns geht es von Tanuf weiter zum Palast von Jabrin, der sich ca. 50 Kilometer von Nizwa entfernt befindet. Ursprünglich wurde er im Jahr 1670 als Wohnschloss errichtet. Wegen Streitigkeiten mit seinem Bruder musste der Imam Bil´arub jedoch auch Wehrmauern und Kanonentürme an seinem Schloss ergänzen. Das Schöne an dem Palast ist, dass er nicht nur als Residenz, sondern auch als Ort des Wissens diente. Denn der Imam förderte unter anderem Rechtsgelehrte, Mediziner und Poeten.
Und so schreiten wir mit unserem deutschen Audioguide durch die Anlage, hören spannende Details und sehen nicht nur die ehemaligen Wohn- und Repräsentations-, sondern auch Studierräume und Bibliotheken. Wir bewundern antike Möbel, ausgestellte Gebrauchsgegenstände, aber auch aufwändige Holzdecken, Malereien und kalligrafische Dekorationen. Ein Ort zum Träumen und ein wunderschönes Gebäude, das ein farbenfrohes Bild traditioneller omanischer Wohnkultur vermittelt. Deshalb wurde es wohl auch 1980 in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen und 1984 aufwendig restauriert. Lasst euch den Palast also auf keinen Fall entgehen!
Das größte Lehmfort des Oman: Hisn Tamah in Bahla
Die letzte Etappe auf dem Weg zurück nach Nizwa ist der Ort Bahla, in dem es das größte Lehmfort des Omans zu sehen gibt. Da wir gerade erst den Palast ausgiebig begutachtet haben, begnügen wir uns mit der Außenansicht dieses Giganten aus dem 17. Jahrhundert, dessen Dimensionen erst richtig deutlich werden, wenn ein Mensch davor steht. 20 Jahre lang wurde es restauriert und hat es ebenfalls als Weltkulturgut auf die Liste der UNESCO geschafft.
Vielen seiner vergleichsweise winzigen Nachbarn ist dies allerdings nicht zu Teil geworden, wie die Reste eines nahe gelegenen und inzwischen stark zerfallenen Dorfes aus Lehmgebäuden unmissverständlich klar machen. Interessant sind sie trotzdem und ein Blick hinein lässt zumindest noch erahnen, wie es sich darin gelebt haben muss.
Eine Sache die mir hier auffiel: Die alten Häuser in Oman haben Gesichter, die mal fröhlich, mal nachdenklich, erstaunt oder traurig in die Welt schauen. Wahrscheinlich weil sie wissen, dass der Zahn der Zeit an ihnen knabbert und bald wird von diesem Kulturgut nichts mehr übrig sein. Schade irgendwie. Deshalb flüstern sich die Häuser manchmal auch schnell noch ein paar Geschichten zu. Aus 1001 Nacht versteht sich. Was sonst.
Du willst noch mehr Geschichten aus Oman? Dann komm mit ans Meer, in die Wüste Wahiba Sands oder lass dich auf den Ziegenmarkt in Nizwa entführen. Folge mir außerdem auf Facebook, Twitter oder Instagram, denn bald geht es hier weiter, mit Geschichten und Berichten aus der Welt.
6 Comments
Liebe Lu, ganz wunderbar geschrieben und in die Fotos habe ich mich auch ein wenig verliebt. Danke fürs Mitnehmen auf die Reise in den Oman :) Liebe Grüße, Katharina
Liebe Katharina, vielen Dank und schön, dass du meiner Einladung gefolgt bist! :) Liebe Grüße Lu
Bist ja selbst so ein wunderbarer Geschichtenerzähler, inspiriert von 1000 und 1 Nacht… Wünsche, dass Dir das Gespür für das Wunderbare unserer Welt (auch die kleinsten Kleinigkeiten) für immer erhalten bleibt und hoffe, dass – wie in 1001 Nacht – noch viele Märchen aus Deiner `Feder` folgen.
Übrigens – die netten Ziegen hab ich schon in mein Herz geschlossen…
Liebe Grüße
Lenke
Danke liebste Lenke! Vielleicht bringe ich von der nächsten Reise ein paar Tiere mit. Es wurde an anderer Stelle ja auch schon Interesse an Kamelen bekundet. :)
Wow, deine Fotos machen mal wieder so richtig Lust sofort einen Flug zu buchen und den Koffer zu packen!
Schönes Pfingstwochenende wünsche ich dir!
Sarah
Danke schön liebe Sarah! Dir auch ein wunderschönes Wochenende.