Als wir unseren Bekannten in London erzählen, dass wir uns Eltham Palace angeschaut haben, sind sie hellauf begeistert und gratulieren uns zur vortrefflichen Wahl unseres Ausflugsziels. Als wir ihnen sagen, dass wir von Bromley aus (das ist ein Stadtteil im Süden Londons) dorthin gewandert sind, schauen sie ganz schön aus der Wäsche: „Was, ihr seid den ganzen Weg gelaufen? Wieso das denn? Warum habt ihr nicht den Bus genommen?“ So Fragen eben.
Die Sache war recht einfach zu erklären: Weil wir an diesem Tag viel mehr Lust auf eine kleine, stille Wanderung hatten, anstatt in der lauten City in den Touristenströmen unterzugehen. Außerdem war es auch kein Tagesmarsch – so wie es sich vielleicht gerade anhört: Etwa 2 Stunden inklusive kleinem Picknick. Das kann man schon mal machen und zusätzlich noch ein sehr lohnenswertes Ausflugsziel entdeckten.
Los geht’s Richtung Eltham Palace
Also laufen wir am Ostersamstag los: Raus aus den Bromley & Shepards Colleges, wo wir mindestens einmal im Jahr gern gesehene Gäste sind, über den Collage Slip, durch kleine Straßen und Wohnanlagen hindurch. Der Weg ist manchmal nur ein Trampelpfad, führt uns vorbei an Golfplätzen, Schrebergärten und kleinen Parks. Das ist nicht zu jeder Zeit besonders idyllisch, aber es tut einfach verdammt gut zu laufen.
Irgendwann gelangen wir zu einer Lichtung, schlüpfen durch eine Lücke im Zaun und machen es uns auf einer Bank gemütlich. Zeit für ein Picknick. Wir beobachten die Flugzeuge, die im fünf Minuten Rhythmus klein und still über uns hinweg fliegen, dann immer dieselbe Bahn einschlagen und die City ansteuern. Die ist von hier aus gut zu sehen, was ein paar Meter weiter noch ein bisschen skurriler erscheint.
Auf einer Wiese vor uns grasen Pferde (nicht weit entfernt auch eine Eselbande), dahinter stehen andächtig typisch englische Wohnhäuser aus Backstein und dahinter glänzt die silberne Silhouette der Metropole. An unserem Ziel sind wir fast angekommen: Eltham Palace. Davon hatte ich bisher nie gehört, obwohl wir schon so oft in London gewesen sind. Aber irgendwie waren wir entweder immer auf die Innenstadt fixiert oder haben Ausflüge zu anderen Zielen gemacht, nach Hastings zum Beispiel. Dabei liegt das Gute oft recht nah, wie sich gleich zeigen wird.
Eine Geschichte, die vor langer Zeit vielleicht fast zu Ende gewesen wäre
Dieses Anwesen im Londoner Stadtteil Eltham, war seit dem 13. Jahrhundert im Besitz der Krone und diente den englischen Königen bis ins 17. Jahrhundert als Residenz. Später wurde Eltham Palace als Jagdschloss genutzt und auch ihre Weihnachtsfeiertage verbrachten die Tudor-Könige hier.
Während des Englischen Bürgerkrieges, der von 1642 bis 1649 andauerte, büßten die umliegenden Parks jedoch ihren großen Baum- und auch Wildbestand ein. Der Palast und die dazugehörige Kapelle in Eltham waren in keinem guten Zustand mehr und mit der Jagd und großen Festen war es vorbei. Zwar wurde das Anwesen später wieder bewirtschaftet. Allerdings beschränkte sich dies nur noch auf die so genannte „Große Halle“ und einige Nebengebäude.
Und damit könnte die Geschichte hier schon zu Ende sein, hätte sie das exzentrische Ehepaar Courtauld nicht 1933 weitergeschrieben.
Eine neue Ära bricht an
Als Mitglied einer sehr wohlhabenden englischen Textilfamilie verfügt Stephan Courtauld über die nötigen finanziellen Mittel, um Eltham Palace gemeinsam mit seiner Frau Virginia vor dem völligen Verfall zu retten. Sie pachten das Anwesen, engagieren Architekten sowie einen Innenarchitekt, die das bestehende Palastgebäude restaurieren und direkt daneben ein neues Haus errichten.
Drei Jahre später ist dieses Meisterstück moderner Innenraumgestaltung im Art-Deco-Stil fertig. Modernste Technologien finden sich darin und vermutlich ist es zu dieser Zeit das fortschrittlichste in ganz England, unter anderem mit elektrisch betriebenen Uhren und einer internen und externen Telefonanlage.
Das Ergebnis polarisiert sehr. Manch einer hasste es sogar, weil es kein geeigneter Nachbar für einen mittelalterlichen Palast sei. Ich kann klar sagen, dass ich auf der Seite der Bewunderer stehe.
Hereinspaziert in die Gegenwart und Eltham Palace
Zugegeben, an der Kasse schläft mir kurz das Gesicht ein, weil wir schon wieder so viel Eintritt zahlen sollen. In England sind die Preise oft ganz schön gepfeffert, aber nun sind wir ja hier und wollen uns das Ganze auch ansehen. Also schieben wir brav die Kreditkarte über den Tresen und machen uns dann auf den Weg, der uns zu einem Wassergraben und der wohl ältesten Arbeitsbrücke Londons führt. Dahinter liegt das Anwesen, umschmeichelt von Kirchblüten. Wir überqueren die Brücke, fallen irgendwie aus der Zeit und hinein in etwas, das wir aus Filmen zu kennen meinen.
Der Eingangsbereich von Eltham Palace
Schon der Eingangsbereich begeistert uns sehr. Er ist großzügig und hell, mit einer Lichtkuppel und an den Wänden sind Holzvertäfelungen, mit aufwändigen Intarsien. Hier wurden sie alle empfangen – Familie, Freunde, Schauspieler, Persönlichkeiten aus Politik und dem Königshaus. Es ist, als müsste gleich eine Tür aufspringen und eine vergnügte Gesellschaft in schicken Kleidern würde von Musik in den Raum getragen.
Natürlich passiert das nicht. Dafür werden wir von einem Herrn in Empfang genommen, der uns freundlich begrüßt. Er erklärt ein paar Dinge und bittet uns vor allem darum, dass wir achtsam mit der Holzvertäfelung umgehen. Also Rucksäcke auf den Bauch geschnallt und Intarsien sowie die Eingangshalle mit der gebotenen Vorsicht betrachtet. Dann geht es erst einmal in die erste Etage, wo es zur Einstimmung einen kurzen Film über das Haus und die Courtaulds zu sehen gibt. Spätestens jetzt fühlen wir uns mittendrin in diesem fremden Leben und starten unsere Erkundungstour durch das ganze Haus.
Elegante Räume, mittelalterliche Halle und preisgekrönte Gartenanlage
Wir staunen recht oft. Über elegante, teils ungewöhnliche und zentral beheizte Wohn- und Schlafräume, luxuriöse Bäder, Speise- und Gemäldezimmer. Oder den Kartenraum, in dem das Ehepaar exotische Weltreisen plante. Alle Räume sind sehr stilvoll eingerichtet und Zeugen des extravaganten Lebensstils der Courtaulds.
Neben den Gemächern von Virginia gibt es eine Rekonstruktion ihrer begehbaren Garderobe. Hier darf man sogar Kleider, Hüte und Schmuck anprobieren, die den historischen aus jener Zeit nachempfunden sind. Und in ihrem Gold gefliesten Badezimmer will man sich am liebsten sofort in die Wanne legen, im Schaumbad dösen und nebenbei ein bisschen Smaltalk machen, mit der Statue der Göttin Psyche, die dort über einen wacht.
Im Haus gibt es sogar einen beheizten Dschungel-Raum, Treppen und Übergänge für das Haustier der Courtaulds, den Lemur Mah-Jongg, besser bekannt als Jonggy. Stephen kaufte ihn bei Harrods und schenkte ihn Virginia zur Hochzeit. Von da an wurde Jonggy 15 Jahre lang von den beiden nach Strich und Faden verwöhnt. Jonggy konnte sehr lieb sein, zum Beispiel wenn er sich in seinem Liegestuhl entspannte. Es machte ihm aber auch großes Vergnügen, Gäste unter dem Esstisch zu kneifen. Einmal hatte er einen ganz miesen Tag, biss jemanden und verletzte ihn ziemlich schwer. Das wären dann wohl die Schattenseiten eines Lemuren-Daseins: Man macht sich nicht ausschließlich Freunde.
Insgesamt erscheinen die ehemaligen Bewohner und Gäste des Hauses noch sehr präsent, was vermutlich auch an den Fotos und persönlichen Gegenständen in den einzelnen Räumen liegt. Die Gegenstände dürfen ausdrücklich angefasst und angeschaut werden. Ob es wirklich Originale sind – wer weiß. Aber sie tragen dazu bei, dass die Bilder im Kopf lebendig werden und wir uns noch besser vorstellen können, wer hier gelebt hat.
Vom Haus aus kommen wir über einen direkten Übergang in die alte Great Hall. Das ist eine mittelalterliche Halle, die noch zur Bausubstanz des historischen Eltham Palace gehört. Seit den Courtaulds verfügt sie über eine Fußbodenheizung und ihr Hammerbalken-Gewölbe ist das drittgrößte dieser Art auf den britischen Inseln.
Auch die 19 Hektar wunderschöner historischer und preisgekrönter Gärten, die zum Anwesen gehören und in denen es überall noch mittelalterliche Elemente zu entdecken gibt, können sich sehen lassen. Ich könnte hier stundenlang spazieren gehen oder einfach auf einer Wiese sitzen, aber es wird Zeit, dass wir uns verabschieden – vom Garten, dem Palast und auch von den Courtaulds.
Time to say goodbye
Das heißt es auch bald für das Ehepaar. Zwar hören die Parties in Eltham Palace auch nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht sofort auf. Denn die Besitzer haben unter ihrem Haus einen luxuriösen Bunker, mit Bar, Speisekammer, einem Soundsystem und angrenzenden Billardraum. Er ist bombensicher und durch ein ausgefeiltes Luftaustauschsystem gasdicht.
Doch die Brandbomben verschonen auch dieses Anwesen nicht und das Dach der Halle wird schwer beschädigt. Und so verlassen die Courtaulds Eltham Palace 1944 und ziehen erst nach Schottland und dann nach Südrhodesien, dem heutigen Simbabwe. Die verbleibenden Jahre ihres Pachtvertrages geben sie an das Royal Army Educational Corps ab, das das Anwesen bis 1992 nutzt.
Heute ist Eltham Palace eine derzeit nicht bewohnte königliche Residenz. Seit 1995 wird sie von English Heritage verwaltet und wurde der Öffentlichkeit 1999 nach Renovierungsarbeiten und einer Rekonstruktion des Parks zugänglich gemacht. Angeblich spukt noch der Geist eines ehemaligen Dieners hier herum und veranstaltet nachts Schlossführungen. Davon hätte ich mich auch gern noch überzeugt, aber wir sind verabredet und machen uns wieder auf den Weg nach Bromley. Weil die Zeit knapp ist, nun doch mit dem Bus.
Gut zu wissen
Du solltest dir Eltham Palace unbedingt anschauen, wenn du dich für englische Anwesen, besondere (Innen-)Architektur und schöne Gartenanlagen sowie Lebensgeschichten wie das der Courtaulds interessierst. Und natürlich auch, wenn du dem Trubel der Großstadt für ein paar Stunden entkommen willst.
Adresse: Court Yard, Eltham, Greenwich, London, SE9 5QE
Hinkommen: Du musst nicht zwangsläufig zu Fuß gehen, sondern kannst auch den Zug nehmen, z. B. von Charing Cross bis zum Bahnhof Mottingham. Von dort ist es noch ein ca. 10-minütiger Spaziergang bis zum Eingang von Eltham Palace.
Was gibt’s: Palast und Gartenanlage, ein Café und einen kleinen Shop sowie Spielplatz
Öffnungszeiten: täglich außer Samstag von 10:00 bis 18:00 Uhr; letzter Eintritt 30 Minuten vor Schließung
Eintrittspreise: 15.40 £ (normaler Eintritt für Erwachsene)
Mehr Infos findest du hier.
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2 Comments
Danke für den schönen bericht !
Gern und danke für den netten Kommentar! :)