Rezension: Couchsurfing im Iran

17. April 2016
Buchcover "Couchsurfing im Iran"

Stephan Orth, Redakteur im Reiseressort bei Spiegel Online, ist in den Iran gefahren, um etwas offiziell Verbotenes zu machen. Couchsurfing.

„Ich bin auf der Suche nach den kleinen und großen Freiheiten der Iraner. Ich will dem Land seine Geheimnisse entlocken und herausfinden, was hinter blinden Fenstern und verschlossenen Türen passiert.“

Um das zu erreichen, reiste er 62 Tage kreuz und quer durchs Land und fand Nachtlager bei insgesamt 22 Gastgebern. Für Orth galt die Maxime: Richte dich unterwegs nach den Ideen der Einheimischen und so wurde das, was als Rucksackreise geplant war, immer mehr zu einer All-inclusive-Angelegenheit mit Abholservice und Betreuung rund um die Uhr. Dafür wurden ihm unzählige Stunden mit den Gastgebern, ihren wunderbaren Familien und Freunden geschenkt und er bekam, was er wollte: Er durfte den Alltag der Menschen im Iran miterleben und konnte einen Ausschnitt daraus festhalten.

So nimmt er den Leser mit in die Wohnungen und das Leben der Iraner. Er gibt Einblicke in Schicksale, Gefühle, Gedanken und Erwartungen dieser Menschen. Natürlich geht es um das Thema Couchsurfing und wie es funktioniert, in einem Land in dem es verboten ist, Fremde bei sich zu Hause aufnehmen. Es geht um die Frage, warum die Iraner es trotzdem tun. Es geht um das Reisen durch dieses Land, seine Regionen, Landschaften und Städte. Es geht um Sanktionen, um Bürokratie, immer wieder auch um Alkohol, um Religion und Rebellion. Es geht um virtuoses um Gesetze herum navigieren. Es geht um Freiheit im Kleinen und im Großen. Und immer wieder geht es um die enorme Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit.

„Im Iran ist einiges ganz anders, als Informationen aus der Tagesschau vermuten lassen… Zuschauer vergessen leicht, dass die Realität in jedem Land zehntausendmal vielfältiger ist, als sie gezeigt wird. Iraner übertreiben gern. Iraner sind wundervoll. Und ihre Schnäpse und Freiheitslieder und heimlichen Gesetzesbrüche sind es auch. Viele Iraner brechen täglich Gesetze und Regeln – wenn sie sich unbeobachtet fühlen.“

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Die Menschen, die der Autor in den zwei Monaten getroffen hat, stehen selbstverständlich nicht repräsentativ für den Iran und können deshalb eben auch nur ein Teil dieser Vielfältigkeit sein. Er selbst schreibt „Beim Couchsurfing (…) trifft man nur eine Gruppe, die gebildet ist, gut Englisch kann und sehr modern und internetbegeistert ist. Eine Gruppe, die sich für Reisen und für das Leben im Westen interessiert und nach mehr Freiheiten strebt.“ Eine sympathische Gruppe auf jeden Fall.

Insgesamt hat mir das Buch große Lust auf den Iran und seine Menschen gemacht. Nur hat dieses Land Schattenseiten, aufgrund derer ich mir im Moment nicht vorstellen kann, dorthin zu reisen. Denn auch das ist der Iran: „Ich glaube, die Hälfte der Iraner ist nicht sehr streng religiös. Aber die Regierung ist so stark, dass sie es verbergen müssen. Und die jungen Leute haben Angst, für ihre Rechte zu kämpfen. Weil sie wissen, wie brutal die Mächtigen sind, wie viele Menschen sie getötet haben. Und das nur, weil sie sich politisch engagierten.“ (Ahmad)

Amnesty International liegen Informationen vor, nach denen in der ersten Jahreshälfte 2015 fast 700 Menschen im Iran hingerichtet wurden. Das sind mehr als drei Exekutionen täglich. Ein schockierender Anstieg für 2015, dessen Gründe jedoch nicht in vollem Umfang bekannt sind. Ein Großteil von ihnen ist auf Drogendelikte zurückzuführen. Hinrichtungen in diesem Zusammenhang stellen allerdings einen Bruch des Völkerrechts dar. Kein Wunder also, dass Stehphan Orth über den Iran sagt, dass er verzaubert, zugleich aber auch wütend macht.

Da es mich wohl vorerst nicht in den Iran verschlagen wird, freue ich mich zumindest über viele neue Erkenntnisse, unter anderem diese 15 kleinen Fakten:

  1.  Popcorn heißt auf Persisch Elefantenpups.
  2. Benzin wird in Bussen geschmuggelt.
  3. Fische ohne Schuppen, so wie der Wels, sind laut Islam nicht halal. Deshalb stehen sie bei Gläubigen nicht auf der Speisekarte.
  4. Iran ist das Gastfreundschafts-Weltmeisterland.
  5. Shiraz riecht nach Orangen.
  6. Isfahan ist die Partnerstadt von Freiburg.
  7. Iraner geben lieber eine falsche Antwort, als gar keine.
  8. Das perverse Hobby der Iraner ist Autofahren.
  9. Ahvaz ist mit bis zu 52 Grad im Sommer die heißeste Stadt des Iran.
  10. Für Tee ist immer Zeit.
  11. Iranerinnen belegen den Spitzenplatz bei der Zahl der Nasen-Schönheitsoperationen.
  12. Nachmittagsnickerchen sind etwas sehr Iranisches.
  13. Für Bierbrauen setzt es 80 Peitschenhiebe.
  14. Die Iraner stehen total auf Adele. Leider sind Auftritte von Sängerinnen verboten.
  15. Wenn Iraner die Farbe Grün sehen, werden sie immer ganz wuschig.

Titel: Couchsurfing im Iran: Meine Reise hinter verschlossene Türen
Autor: Stephan Orth
Seiten: 240
Erschienen: Malik
ISBN-13: 978-3890294544

© Buchcover und Inhaltsseite: Malik

Ihr habt Lust auf noch mehr Reisegeschichten bekommen? Dann empfehle ich euch „Gebrauchsanweisung für Thailand“ von Martin Schacht oder Stories of a Journey Man von Fabian Sixtus Körner. Und als vorläufige Alternative zum Iran möchte ich euch wärmstens den Oman empfehlen.

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