Inzwischen kommen wir ganz gut zu Dritt zurecht und unsere Gastfreundschaft hat sich offenbar herumgesprochen. Ein weiteres, kleineres Exemplar ist ebenfalls in unser Badezimmer eingezogen. Aber wie wir inzwischen gelernt haben, ist Widerspruch völlig zwecklos. Deshalb sparen wir uns jegliches Theater und schauen großzügig über diese Tatsache hinweg.
Es ist unser letzter Abend in Tarrafal und den verbringen wir nun schon traditionell gemeinsam mit den anderen auf der Terrasse. Irgend etwas will ich aus unserem Zimmer holen und gehe los. Ich öffne die Tür und leuchte mit der Taschenlampe in den Raum. Ich muss zum Lichtschalter. Der befindet sich allerdings an einer kleinen Tischlampe in der hinteren Ecke des Zimmers. Aber so weit komme ich nicht. Der Lichtkegel fällt auf die Wand. Und an dieser klebt ein großer schwarzer Fleck direkt über dem Kopfende unseres Bettes. Schnell sehe ich ein, dass das keinen Sinn ergibt. Und natürlich ist es kein Fleck, sondern unsere Spinne. Die große versteht sich. Die Vorstellung, dass sie die Nacht dort verbringt oder am Ende noch ins Bett kommt, um sich zwischen uns zu kuscheln, ist mir zu viel. Falls sie Gedanken lesen kann, zählt jetzt jede Sekunde. Ich laufe so schnell ich kann. Rastlos, atemlos. David, David!! Die Spinne. Über dem Bett!
Er weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll, aber er weiß was zu tun ist und kommt mit. Nachdem David sie von der Wand gekratzt hat und sie nun vor der Tür in seiner offenen Hand präsentiert, denke ich mir, dass ich sie zumindest mal anfassen könnte. Schließlich sind wir uns nun sowieso schon öfter viel näher gekommen, als einem lieb sein kann. Ganz vorsichtig berühre ich sie an einem ihrer zahlreichen Beine. Gefühle werden sortiert. Ich komme zu dem Schluss, dass die sich gar nicht eklig anfühlt. Im Gegenteil. Schon tastet mein Finger auf ihrem Rücken herum. Wie ferngesteuert. Wie Samt. Gern würde ich meinen kompletten Frieden mit ihr machen und sie einfach nur mal kurz in die Hand nehmen. Aber das ist ihr eindeutig zu viel. Nachdem David das letzte Bein losgelassen hat, rennt sie seinen Arm hoch, auf den Rücken und jetzt? Sie fackelt nicht lang, stürzt sich todesmutig auf den Boden und flitzt mit wehendem Haar auf ihren langen Beinen davon. Zack, Mauer hoch. Sprung. Weg. Schade.
Als wir später in unser Zimmer gehen, wartet sie nicht auf uns. Dafür haben wir ein ganz wunderbares neues Problem: Kakerlaken. Rotbraun, mindestens vier an der Zahl, vermutlich aus einem anderen Zimmer umgezogen. Die sind halt auch nicht gern allein. Die stattlichen Biester sausen wie kleine Autoscooter durch unseren Raum. Über die Wand, den Boden und ab in die offene Reisetasche des Mannes. Perfekt. Er war gerade mit dem Packen fertig. Mir ist inzwischen alles egal. Das Gefühl von Ekel existiert nicht mehr. Beherzt greife ich zum Besen und befördere ein Exemplar nach dem anderen vor die Tür. Nun ist nur noch die in der Tasche übrig. Ein Kleidungsstück nach dem anderen fliegt in hohem Bogen wieder raus. Die Tasche ist eigentlich schon fast leer, keine Kakerlake weit und breit. Doch dann plötzlich sehe ich sie. Als würde sie für einen Marathon trainieren, dreht sie tapfer eine Runde nach der anderen auf dem Taschenboden. Das macht sie wirklich toll. Da uns jedoch spontan keine Vermarktungsstrategie für dieses außergewöhnliche Talent einfallen will, trennen wir uns auch von ihr.
Unser Timing an diesem Abend ist erstaunlich gut. Der Strom läuft noch und das Licht brennt. Ich sitze auf dem Bettrand und schaue mich um, ob ich alle meine Sachen beisammen habe. Während ich den Raum beobachte, habe ich das Gefühl, dass auch ich beobachtet werde. Und tatsächlich, ein großes, halb zugekniffenes Auge lugt zusammen mit einer langen Kopfantenne zwischen den Steinritzen unserer Sitzfläche hervor. Da hat sich doch tatsächlich noch so ein Insekt reingequetscht und hofft, dass es nicht entdeckt wird. Ich fasse es nicht. Bevor sich dieses Dings ein wirklich brauchbares Versteck suchen kann, wird es ebenfalls nach draußen befördert und wir versuchen zu schlafen.
Am nächsten Morgen müssen wir noch vor Tagesanbruch aufstehen. Mit Kerze und Taschenlampe bewaffnet, versuchen wir uns schnell fertig zu machen. Noch vor fünf Uhr ruft bereits der Aluguer-Fahrer nach uns. Der Mann geht schon los. Als ich ebenfalls zur Tür hinaus will, muss ich mir die Frage stellen, was da wohl gerade unter meinem Schuh los ist. Der Boden war doch sonst nicht so schmierig. Ich leuchte nach unten und trauen meinen Augen nicht. Irgendwie habe ich es geschafft, eine Kakerlake zu zertreten. Mit einem recht zerknirschten Ausdruck schaut mich das, was von ihr übrig ist, von meiner Schuhsohle aus an. Ganz toll. Schon wabert der Gedanke an die Trilliarden ungeborenen Minikakerlaken, die sich gerade in den Ritzen der nicht mehr ganz intakten Sohle häuslich einrichten könnten als dicker dunkler Wolkenpopel durch meinen noch recht müden Kopf. Was für ein hässlicher Start in den Tag. Dieses Stück Land darf ich mit Sicherheit nie wieder betreten. Mein einziger Trost ist, dass das unter meinem Schuh nicht die Spinne war. Wirklich. Der anschließende Weg zum Tor gestaltet sich etwas schwierig, da ich das Bein mit dem kontaminierten Schuh abwechselnd vor mir herschiebe oder nachziehe, um die Reste und die vermeintliche Brut irgendwie loszuwerden. Nicht besonders grazil, aber effektiv wie mir scheint, denn die Schwemme an Minikakerlaken blieb erfreulicher Weise aus.
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2 Comments
Hahahaha, ich hab gerade wunderschön prokrastinierend mir Teil 1-3 komplett durchgelesen. Herrlich, einfach herrlich. :D
:D
Ich schätze mal, das schaffen nicht viele, weil sie das Foto von der Spinne in Teil 1 sehen und dann hektisch auf den Schließen-Button klicken. Dann hast du dir jetzt eigentlich einen Tapferkeitsorden verdient!