Sardinien.

1. August 2018
Sardinien - Gräser an der Küste im Sonnenuntergang

Die Leute klatschen, als das Flugzeug pünktlich um 13 Uhr auf der zweitgrößten Insel des Mittelmeers aufsetzt. Sardinien. Nicht weit von Alghero entfernt. Es gab keine Turbulenzen. Der Flug dauerte nur etwas mehr als zwei Stunden. Ich weiß nicht, warum die Leute das immer noch machen. Also klatschen. Es ist so 90er. Aber vielleicht geht’s nicht um den Flug, sondern um die Tatsache, dass der Urlaub beginnt. Wenn das so ist. Ich klatsche innerlich.

Als wir aussteigen, scheint die Sonne. Das Thermometer zeigt knapp 30 Grad. Das Haar sitzt exakt so lange, bis der Wind es zu fassen bekommt. Der bläst heute ordentlich, der Wind. Einer von vielen hier auf der Insel. Er ist mal da und mal nicht. Man gewöhnt sich schnell an ihn.

Wir suchen den Mietwagen. Suchen nach etwa 40 Minuten Fahrt Richtung Norden auch nach dem Haus, das irgendwo auf dem Hügel stehen muss. Die Vermieter zeigen uns alles, am Ende auch die Gläser voller Wein, die nun auf fast leeren Magen zu trinken sind. Das macht, dass ich nur wenig später in der Hängematte einnicke, die im verwunschenen Garten unter schattigen Bäumen hängt. Der Wind bläst noch immer. Schaukelt mich hin und her. Ich liebe dieses Stück Stoff schon jetzt. Werde viel Zeit verbringen, in diesem, meinem Kokon. Ein Buch nach dem anderen werde ich lesen. Und schlafen und träumen. Auch das werde ich.

Die Aussicht. Einfach so. Hinterm Haus.

Wir nennen den Busch Jasmin.

Das Haus ist genau richtig. Es fehlt an nichts. Ich mag den Garten, mit seinen vielen knochigen Bäumen. Die große Terrasse, die bei Bedarf (und den gibt’s hier ständig) Schatten spendet. Steht man hinter dem Haus, kann man über den Jasminbusch schauen, den Berg hinunter, wo die Schotterpiste entlang führt. Auf ein paar einzelne Häuser, das Meer und die Küste. Manchmal schaukelt ein Schiffchen vorbei. Als kleiner weißer Punkt. Da unten auf den blauen Wellen.

Auf dem Weg nach Porto Torres, wo wir hinfahren, um uns mit Lebensmitteln einzudecken, stelle ich amüsiert fest, dass die Sarden noch immer gern auf ihre Verkehrsschilder schießen. Mit Schrotflinten oder schwereren Geschützen. Dieses Mysterium hat mich schon fasziniert, als wir die ersten beiden Male auf der Insel waren. Damals in bzw. bei Budoni. Im Osten, südlich von Olbia. Jetzt also der Nordwesten.

Ein Schild, das noch verhältnismäßig gut aussieht und für „Glück im Unglück“ steht.

Meist ist es ruhig auf unserem Hügel. Ich höre nur den Wind. Gelegentlich auch das beliebte Wind-in-den-Bäumen-Geräusch. Vögel, die singen. Insekten, die den Jasmin umschwärmen. So wie die dralle schwarze Holzbiene, die morgens immer vorbei kommt. Stopft sich die Hosentaschen voll, mit feinstem Nektar und brummt wieder davon. Ein Hahn kräht in der Nähe. Eine Taube gurrt. Eine Krähe krächzt. Hin und her geht das. Nur Missverständnisse. Die drei verstehen sich einfach nicht. Dann wieder Stille. Die Wolken wandern am Himmel entlang und da ein Flugzeug. Die Flügel deutlich zu erkennen. Ganz ohne Geräusche das alles. Irgendwo unterhalten sich Nachbarn. Sonst nichts.

Und hinten rechts meine Hängematte.

Krabbelkäfer. Krabbenkäfer. Rüsselkäfer. Nasenkäfer. Nasenaffenkäfer. Fuchskäfer. Knopfaugenkäfer. Ich weiß es bis heute nicht. Niedlichster Käfer ever jedenfalls.

Später liegen wir in den Liegestühlen und schauen aufs Meer. Der Himmel wird ganz schwarz vor Schwalben. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so viele auf einmal gesehen habe. Dann verschwindet die Sonne. Direkt vor uns rutscht sie ins Meer. Genau die richtige Portion Kitsch, die ich so verkraften kann. 21 Uhr. Links oben in unserem Panorama beginnt jeden Abend der erste Stern zu leuchten. 21:15 Uhr. Möwen. Lachen dreimal laut am Himmel. Dann stimmen die Grillen ihre Instrumente. Ca. 21:20 Uhr gehen die sechs Straßenlaternen auf dem kleinen Hügel gegenüber an. Da wo die winzige Ferienhaussiedlung steht. Dann kommt die Nacht. Herrlich unspektakulär. Herrlich schön.

Der letzte Abend.

Fünf vor Sonnenuntergang.

Und gleich ist sie weg.

Als die Sonne untergegangen ist, fangen die Nachbarn an zu mähen. Das geht nur, wenn es kühler ist. Es geht nur laut. Hört sich ein bisschen nach Güterbahnhof an. Oder Steinbruch. Wie ein Förderband, das Bröckchen abtransportiert. Geräuschvoll hüpfend. Für die Nachbarn ist das ein Mordsgaudi. Ich kanns nicht sehen, mir nur vorstellen. Die Mähmaschine fährt einmal über den Acker. Wendet. Der Mann springt raus, die Frau fällt ihm in die Arme. Er dreht sich mit ihr einmal um die eigene Achse. Ein fliegender Rock, ein Jauchzen, ein Kuss. Er setzt sie wieder ab, wischt sich über die Stirn. Schiebt sein keckes Mützchen zurecht, steckt sich die Zigarette in den Mundwinkel. Ein Klaps auf den Po. Zwinkert ihr zu, bevor er wieder auf die Maschine klettert. Fährt eine weitere Runde, springt raus, die Frau fällt ihm in die Arme. Für immer geht das so.

Hinter mir im Busch ein verrückter Zeitgenosse. Auch nicht zu sehen und nur zu hören. Erst ein langgezogenes Schnalzen, dann ein Hieb wie mit einer kleinen Peitsche. Wer das wohl sein mag.

Wenn man nachts auf dem Sofa liegt, und durch das große Fenster in die Nacht schaut, kann man die Sterne sehen. Alle. Das sagt der Mann. Und das Universum und die Unendlichkeit. Das sage ich.

Und so sind die Tage hier. Mit kurzen Unterbrechungen durch Aktivitäten. Bis das Ende der Urlaubswoche naht. Ich kann den Schatten schon sehen.

Was du dir bei der Gelegenheit gleich mal merken kannst: Menschen haben keine Katzen. Katzen haben Menschen.

Der Mann weckt mich früh. Noch im Bett knabber ich wehmütig ein paar Kekse und schlürfe den starken Kaffee. Dann packen, ein bisschen aufräumen. Noch einen Kaffee, ein letztes Glas Chinotto. Es ist neun oder halb zehn. Die Vermieter werden erst gegen elf hier sein, um den Zustand ihres Hauses zu prüfen und es sich dann selbst wieder darin gemütlich zu machen. Ich nutze die Zeit. Schleiche durch den Garten und ums Haus. Alles nochmal im Gedächtnis verankern. Gut sichern. Es so lange wie möglich festhalten. Bis das Vergessen es irgendwann anknabbert, so wie ich meine Kekse, und es Bissen für Bissen runterschluckt und nur noch Erinnerungskrümel übrig bleiben.

Ich schaue ausgiebig aufs Meer. Verabschiede mich von der Aussicht, die in den letzten Tage meinen gierigen Blicken standgehalten hat und sich wieder und wieder geduldig betrachten ließ. Und bevor mir die Gelegenheit entgleitet, klettere ich ein letztes Mal in die Hängematte und nehme ordentlich Schwung. Sonnenstrahlen fallen durch die Blätter, die sich im Wind wiegen. Und wenn ab und zu eine Möwe über mich hinwegfliegt, sehe ich von unten aus dem Kokon nur ihren Schatten unter der Baumkrone hindurch huschen.

Ich schließe die Augen. Dann hupt es. Das Ende.

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