Rumänien vorm Fenster

19. August 2018

Ich sitze im Auto. Vor meinen Augen läuft ein Film ab. Er spielt in Rumänien. Ich schaue genau hin. Will keine Sekunde verpassen. Es sind Momentaufnahmen meines Erstkontakts mit diesem Land.

Grenzerfahrung

Hinter uns liegt eine lange Fahrt. Hunderte Kilometer. Und vor uns trennt eine unsichtbare Linie auf dem Boden Ungarn von Rumänien. Vor dem Abfertigungshäuschen sitzen drei Beamte gelangweilt in der Sonne, der es egal ist, worauf sie runter scheint. Ein Mann und eine Frau auf der ungarischen Seite der Linie, ein Mann auf der rumänischen. Sie werfen Blicke auf uns, unsere Ausweise, dann flüchtig in den Kofferraum.

Kein Terrorist drin. Gut. Auch sein restlicher Inhalt scheint nicht besonders spannend zu sein. Ich schon. „És Szandra, beszélsz magyarul?“ fragt mich der Ungar. Ausnahmsweise stehe ich mal nicht auf der Leitung. „Egy kicsit“, antworte ich. „Német vagy?“ „Igen.“ Mein Nachname hat sein Interesse geweckt. Er will wissen, ob ich Ungarisch Spreche, ob ich Deutsche bin. Der bestandene Test wird mit einem Lächeln quittiert. Wir dürfen drei Meter nach vorn rollen.

Den Rumänen verstehe ich dann schon nicht mehr. Komisch eigentlich, denn ich hatte es mir einfacher vorgestellt, wo ich doch zumindest die Basics verschiedener romanischer Sprachen kenne. Aber mit all dem hat das, was aus diesem Mund fällt, irgendwie so gar nichts zu tun. Beeindrucken werde ich den also nicht. Er lässt uns trotzdem einreisen. Von da an bin ich schwer mit Beobachtungen beschäftigt.

Über Land

Flach. Links und rechts Felder. Endlos bestückt mit Mais oder Sonnenblumen. Letztere stehen dicht gedrängt, mit hängenden Köpfen. Irgendwie sehen die depressiv aus. Ich ertrage es fast nicht. Hoffe, dass es kein Omen ist. Dann Felder, die deutlich mehr Lebensfreude ausstrahlen. Hände voll Störche wurden auf ihnen verteilt. Auf ihren langen roten Beinen schreiten sie den Acker ab, rammen mal hier mal da ihre Schnäbel in die Erde. Einer steht mitten auf der Straße. Er weiß selbst nicht, was er da soll.

Immer wieder kommen wir durch kleine Dörfer und Ortschaften. Ist nicht alles so ganz intakt hier. Einige Häuser sind reinste Elendshäufchen. Gleich daneben knabbert der Rost an uralten Dacias. Kein Allgemeinzustand, aber hin und wieder. Genug davon, dass es mir auffällt. Dann wiederum Häuser, die zumindest oberflächlich ganz passabel aussehen. Mit Obstbäumen davor, meist steht eine Bank darunter. Drauf sitzen im Schatten kugelrunde Omis und halten einen Nachmittagsplausch. Auf ihren Köpfen Tücher. Der Rest ist in lange Röcke verwickelt. Interessiert schauen sie uns hinterher.

Katzenhüllen liegen leer am Straßenrand. Die kleinen Seelen haben sich davongemacht. Werden nie lernen, dass sie nicht mit Autos spielen können. Lebendiger geht es dafür in den Vorgärten zu, wo Hühner gackern und Gänse schnattern. Auf einer Wiese rüsseln aufgeregt zwei Schweine um die Wette. Zwischen ihnen hockt ihr Besitzer im Gras. Auch recht drall in Sachen Figur und von der Sonne ganz rosa gemacht. Viel unterscheidet ihn nicht von seinen Spielgefährten. Aus der Entfernung ist es nur die kurze Hose, die er trägt und über deren Bund ganz lässig sein Bauch hängt. Die dünnen Beinchen von sich gestreckt. So sitzt der da und genießt den August.

Fahnen winken uns von Masten zu. Immer im Wechsel eine europäische und eine rumänische. Europa scheint hier noch nicht auf Halbmast zu hängen. Mich überrascht und freut das. Ganz ehrlich.

Das Gefühl vom Fahren

Auf den Landstraßen knattern behäbig Motorräder vor uns her. Die Auspuffe husten uns blaue Dunstwolken entgegen. So dick wie die Fahrer selbst. Bauchige Männer, mit freien, braungebrannten Oberkörpern. Die 100 Kilo Marke haben sie locker geknackt und können nicht viel Geschwindigkeit rausholen. Genau wie manche Autos, die wie Schnecken vor uns herumkriechen. Noch langsamer würde kompletten Stillstand bedeuten.

Es ist Sonntag, früher Nachmittag und es drängt sich die Vermutung auf, dass hier einige Schnäpse im Spiel sind. Einer auf den lieben Gott und die Verdauung, einer auf das zweite Bein, weil man auf einem bekanntlich nicht stehen kann. Dann noch einer, weil aller guten Dinge drei sind. Aber ungerade Zahlen fühlen sich immer unkomfortabel an. Also noch ein vierter Schnaps und dann ist es auch schon egal. Die Stimmung ist bestens und so jung kommt man schließlich nicht mehr zusammen. Also noch einen fünften auf die Freundschaft und die Gesundheit. Schon steht es sich auch auf beiden Beinen nicht mehr gut. Man muss zwangsläufig fahren. Vor lauter Glückseligkeit erscheint alles doppelt. Auch die Straße. Schwierig, sich für eine der beiden zu entscheiden. Also besser langsam und noch besser mittig. So gut es eben geht. Dann merkt das auch keiner. Insgesamt bleibt es so eher beim Gefühl vom Fahren. In Zeitlupe schleichen sie durch ihr Land.

Berge, Wälder, Wiesen, Felder

Mein Blick schweift ab. Fällt auf den Horizont, wo Berge zu erahnen sind. Etwas schüchtern noch in zurückhaltendem Grau. Darüber der Himmel mit großen weißen Wolken bestückt. Lieblingshimmel. Kuh- und Schafherden. Ein Pferdekarren mit dem Bauern drauf und seiner Bäuerin. Der Karren ächzt und knarrt, die Pferde schnaufen. Wahnsinn, Wahnsinn denkt sich das Stadtkind. Sowas gibt es hier wirklich noch. Es ist, als würden wir rückwärts durch die Zeit reisen.

Bald geht die Straße auf und ab. Hügelchen werden zu Hügeln werden zu Bergen. Grün und saftig und überall Wald und Felder. Sieht bequem aus. Als wäre das gepolstert. Ich bekomme Lust, mich da drauf zu setzen. Aber die Zeit ist knapp heute und reicht nicht für Stopps. So bleibt weiterhin nur der Blick durchs Autofenster. Auf die Berge, Täler, Dörfer und so Heuklöpse, die überall auf den Wiesen stehen. Mit einem dicken Stock, der oben in der Mitte rausguckt. Auch Kirchtürme schauen hier überall raus. Ich mag, was ich sehe. Es kann hier nur gut werden.

Der Wald, ein Kuriositätenkabinett

Noch 20 Kilometer. Von nun an geht es immer bergauf. Kurve um Kurve. Zerzauste Hunde am Straßenrand. Eine ganze Armee vierbeiniger Zombies. Dem einen hängt das Fell in Fetzen. Ein anderer hat bei der letzten Schlacht wohl ein Auge verloren. Schön ist anders. Sie alle scheinen ziemlich irre. Schwarmstumpfsinn.

Kläffend rennen sie neben dem Auto her. Fass die bloß nicht an, sagt der Mann. Niemals! Mir muss man sowas leider sagen und ich weiß schon jetzt, dass es schwer werden wird für mich. Ich leide an einem unheimlichen Hundestreichel-Automatismus. Trotz des „vielleicht-ist-es-Tollwut-vielleicht-aber-auch-nicht“-Erlebnis, das ich mir als Knirpsin mal in Ungarn eingehandelt hatte. Einem großen Hund wollte ich ganz viel Liebe schenken. Zum Dank biss er mir in die kleine Hand. Auf meine Besessenheit hat das keinen Einfluss. Nullo.

Der Wald hält weitere Kuriositäten bereit. Schon erscheint die nächste auf der Bildfläche. Ein Mann am Straßenrand. Hält den Daumen raus. Von weitem könnte es ein Wanderer sein, mit einem langen Stock in der Hand. Braucht man hier, um Berge und auch Hunde zu bezwingen. Von nahem entpuppt er sich als Zausel, mit windiger Frisur und kaputtem Blick. Sein T-Shirt bis unter die Brust hochgeschoben, steht der da. Bauchfrei und will mit. Uns ist das nichts. Im Rückspiegel lassen wir ihn in Sekundenschnelle auf Zwergenmaße zusammenschrumpfen. Dann löst er sich auf. In Wohlgefallen.

Gleich haben wir unser Ziel erreicht. Müssen nur ein bisschen warten. Auf die Freunde, die sich mit Unterstützung moderner Navigationstechnik irgendwo in den Bergen verfranzt haben. Und auf den Vermieter, der uns mit seinem Pick-up zum Cottage bringen wird. Es klebt zwischen zwei Bergspitzen. Irgendwo da oben muss es sein. Zu sehen ist es von hier nicht.

Wir sitzen im Kofferraum, lassen die Beine baumeln. Neben uns in der Bushaltestelle (kann mir gar nicht vorstellen, dass hier jemals ein Bus a) vorbeikommt und b) auch noch hält) sitzt ein zerknittertes Mütterchen. Die hat mindestens die Unendlichkeit auf dem Buckel. In Lagen aus Stoff und Wolle gewickelt und auf ihren Stock gestützt, beäugt sie uns. Wie war nochmal die Steigerung von skeptisch? Sie überwindet diesen Zustand. Spricht. Akzentfreies Kauderwelsch. An Untertitel hat in meinem Film leider keiner gedacht. Wir schauen uns ratlos an. Ein Gespräch ist in diesem speziellen Fall ausgeschlossen. Sie sieht das auch so und schleicht sich. Dreht sich noch mehrmals nach uns um und murmelt mysteriöse Dinge in ihren fransigen Damenbart.

Während wir ihr hinterher staunen, treffen nach und nach alle Protagonisten ein, die für die letzte Etappe vonnöten sind. Der Pick-up wird mit unserem Hab und Gut beladen. Dann verschluckt uns auf einem Schleichweg die Natur. Auf engen Wegen mit tiefen Spurrinnen schaukeln wir unserem Ziel entgegen. Das Abenteuer Rumänien beginnt.

Möchtest du noch mehr Rumänien? Dann lies doch gleich noch, wie es an unserer ersten Station hier gewesen ist, hüpf rüber zu meinen Kurzgeschichten oder schau mal bei Maria und Ileana vorbei. Einen Buchtipp habe ich hier für dich.

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