Murmeltiertag am Comer See

22. November 2015

Manche Tage sind einfach so schön, dass sie ewig andauern oder sich wiederholen sollen. In einer Endlosschleife und immer wieder gleich. Wie die im Juli am Comer See, in denen ich wach werde, im Bett sitze und durch das riesige Fenster unseres kleinen Hotels schaue. Dahinter dieser See, der sich an die Alpen kuschelt, an dessen Ufern die Berge mit Wolken, Schatten und Sonnenstrahlen spielen und Seeadler ihre Kreise ziehen. Wo dichte Wälder und kleine Dörfchen sich an Hänge schmiegen, Oleanderbäume in allen Farben blühen, Olivenbäumchen stehen und einem immerzu dieser Duft von Lavendel und Rosmarin um die Nase weht. Ich sitze da, starre hinaus und frage mich, was zu tun ist, damit ich mich für alle Ewigkeiten oder wenigstens einen klitzekleinen Sommer lang an diesem Ort einnisten kann.

Wie jeden Morgen bin ich lange mit dieser kniffligen Frage beschäftigt, damit aber nicht allein. Auch alle anderen, die hier gezielt oder zufällig ein paar Stunden oder wie wir mehrere Tage verbringen, werden von ihr gequält. Selbst die Schweizer wirken paralysiert. Dabei müssten sie so einen Anblick doch ertragen können, denn sie haben es ja auch verdammt schön in ihrem Land. Aber nicht einmal sie sind gewappnet gegen diesen See und das, was er mit uns allen macht.

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Wie jeden Morgen, stehle ich mich aus der Situation, denn helfen kann ich den Leuten nicht, genauso wenig wie sie mir. Was für ein Glück, dass im Hotel bereits ein liebevolles Frühstück auf mich wartet. Und während ich dieses möglichst langsam und ausgiebig genieße, verfolge ich, wie am Nachbartisch der gestrige Tag ausgewertet und das Menü für das Restaurant geplant wird. Die Menschen hier und der Ort strahlen solch eine Ruhe und familiäre Atmosphäre aus, dass ich das Gefühl habe, dazu zu gehören. Nicht ohne Grund haben wir uns bereits zum zweiten Mal im Conca Azzurra einquartiert.

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Wie jeden Morgen stehe ich nach dem Frühstück auf dem Rasen vor unserem Zimmer. Ohne den See aus den Augen zu lassen, halte ich einen kleinen Plausch mit der älteren Dame, die hier zu Besuch ist und ihr tägliches Sonnenbad nimmt. Die italienischen Worte purzeln nur so aus ihr heraus. Ich verstehe fast keines davon, aber mit Händen und Füßen werden wir uns immer einig – auch ohne zu wissen, wovon die andere gerade spricht. Ich mag sie und sie uns wohl auch. Zum Abschied winken wir uns zu, bevor sie ihr Nickerchen vor diesem verwunschenen Panorama macht und wir wie jeden Morgen zu einem kleinen Ausflug aufbrechen.

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Bergauf, bergab erkunden wir unseren Ort Olgiasca, der auf einer kleinen Halbinsel am nördlichen Zipfel des Sees liegt. Er ist nicht sehr groß, hat eine Kirche, ein, zwei Restaurants und genauso viele Läden. Zumindest konnte ich mehr nicht entdecken und habe es auch nicht gebraucht. Sicher kein ausgesprochener Touristenmagnet, aber für mich ist der Ort gut so, wie er ist. Ich laufe und laufe durch die wenigen schmalen und verwinkelten Gässchen, ohne zu wissen, ob ich nach der nächsten Kurve nicht plötzlich in einer fremden Küche oder einem Garten stehe oder einfach nur wieder einen Blick auf den Comer See, Berge und Pinien werfen kann.

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Wie jeden Tag, wenn wir zurück sind, müssen wir durch eine kleine Pforte gehen, um zu unserem Zimmer zu kommen. Quietschend fällt sie hinter uns zu. Bellen. Dann Ruhe. Wieder bellen und ein Rascheln in der Hecke. Schon kommt etwas auf uns zu geflitzt, schwanzwedelnd springt es kurz an uns hoch, dreht dann aber ab und rast einem Kometen gleich in eine andere Richtung davon. Der Hund, der Jacko heißt und eine Socke. Seine Socke. Jäger und Gejagte. Die Socke ist so löchrig, keine Ahnung, was sie noch zusammenhält. Der Hund hat sie irgendwann einem Gast entwendet und seitdem sind sie ein Paar. Die ganz große Liebe. Jacko wohnt hier am Comer See und während sein Frauchen im Hotel arbeitet, ist er froh über jeden Gast, der ein gutes Wort und ein paar Streicheleinheiten für ihn übrig hat oder sogar bereit ist, mit ihm über den Rasen zu flitzen und wahlweise die Socke oder ein Stöckchen in den blauen Himmel zu werfen. Bei uns rennt der kleine Verrückte offene Türen ein und es dauert nicht lange, bis wir Freundschaft geschlossen haben. Am liebsten hätte ich ihn eingepackt und mitgenommen.

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Wie jeden Abend sitzen wir auf unserer Terrasse, trinken Wein und schauen zu, wie auf der anderen Seite des Sees ein Licht nach dem anderen angeht und sich Scheinwerfer suchend ihren Weg durch die Serpentinen bahnen, höher und noch höher bis zum letzten erleuchteten Häuschen da drüben auf dem Berg. Jacko leistet uns Gesellschaft, liegt zuerst zusammengerollt wie ein Kätzchen auf meinen Beinen und seufzt ab und zu, wie es Hunden eigen ist, wenn ihnen der Weltschmerz unerträglich wird. Irgendwann setzt er sich auf den Liegestuhl neben uns und zu dritt schauen wir in die Nacht hinein und wünschen uns, dass auch der nächste Tag wieder ein Murmeltiertag wird.

In einem anderen Post findet ihr drei weitere Tipps für Ausflüge am Comer See. Dort nicht aufgeführt, aber aus meiner Sicht ganz lohnenswert, ist außerdem eine Fahrt nach Bergamo.

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