Kapverden: Eine Seefahrt ist nicht lustig

21. Oktober 2013

Um von Sao Vicente nach Santo Antao zu gelangen, müssen wir eine einstündige Fahrt mit der Fähre überstehen. Daran führt kein Weg vorbei. Unser freundlicher Hotelmanager will sich um alles kümmern: Fährtickets besorgen und Transfer zum Hafen organisieren. Wir sollen nur rechtzeitig zur Abholung bereit stehen. Extra früh sind wir aufgestanden, um noch schnell einen Happen frühstücken zu können. Ungeduldig warten wir auf das Taxi, welches gegen 7.30 Uhr endlich den Berg hinaufgeschossen kommt und hupt und hupt. Das wird auch Zeit, denn schließlich soll die Fähre um 8 Uhr ablegen und wir müssen im Hafen noch den Hotelmanager finden, damit er uns die Tickets übergeben kann. Aber scheinbar ist in der Planung oder Kommunikation zwischen ihm und dem Taxifahrer etwas mächtig schief gelaufen. Denn als das Taxi gerade anfährt, kommt auch unser Hotelmanager den Berg hinauf gerast. Behelfsmäßig wirft er sein Auto am Straßenrand ab. Während das Taxi bereits rollt, drückt er dem Mann durch das halb geöffnete Autofenster die Fährtickets in die Hand. Danke für alles. War schön hier. Auf Wiedersehen. Los geht’s. Wir erreichen die nicht ganz moderne Fähre pünktlich und richten uns unter Deck ein, weil oben große Touristenschwärme ihr Unwesen treiben. Das brauchen wir nicht so früh am Morgen. Wir wollen eine entspannte Überfahrt.

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Während wir ablegen und das Hafengelände verlassen, liegt das Schiff ruhig auf dem Wasser und wiegt uns in Sicherheit. Es ist sonnig und es geht kaum Wind. Wo kein Wind, da keine Wellen. Wo keine Wellen, da keine Übelkeit. Ein schönes Reiseversprechen. Oder eher eine Hoffnung. Denn keiner würde sich wohl darauf einlassen, leichtfertig derartige Versprechungen zu machen. Schon gar nicht der junge Mann vom Servicepersonal, der ein paar Minuten nach Fahrtbeginn durch die Gänge läuft. Geübt reißt er von einer Rolle kleine schwarze Plastiktüten ab und verteilt diese jeweils zusammen mit einer Serviette an jeden Passagier. Sie alle nehmen die kleine Aufmerksamkeit dankbar entgegen. Mir schwant nichts Gutes. Ein Blick in die hinteren Reihen verstärkt dieses Gefühl. Dort treffen erste Passagiere bereits Vorkehrungen, um sich vor sich selbst zu schützen. Auf ihren Sitzflächen begeben sie sich in die stabile Seitenlage. Als ich gerade versuche, das Gesehene irgendwie einzuordnen, kommt auch schon der Servicemensch auf uns zu und. Nichts und. Er läuft an uns vorbei, ohne uns mit diesen scheinbar äußerst wichtigen Accessoires auszustatten. Ich bin empört. Doch viel Zeit für Empörungsgehabe bleibt nicht, denn mir wird schlagartig übel. Und das nur, weil ich bei der Verteilung leer ausgegangen bin. Lächerlich. Jetzt ist Willensstärke gefragt und ich nehme mir fest vor, nicht auf die ohnehin schon recht betagte und fleckige Auslegeware zu brechen. Da haben schon zu viele vor mir ihr Revier markiert.

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Wir sind schon eine Weile unterwegs und je weiter wir uns vom Hafen entfernen, umso mehr nehmen Wind und Wellengang zu. Die Übelkeit sitzt als stiller Begleiter geduldig neben mir. Durch eine offene Tür vor uns starren wir gemeinsam auf die rettende Insel, jeder mit seinen eigenen Erwartungen. Nur wenig später gesellt sich auch die Gewissheit hinzu. Sie raunt uns zu, dass der Rest dieser Überfahrt kein Spaziergang wird. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Zeit, die kurz oder lang sein kann. Zeit, die zwingend ausgefüllt werden muss, weil ich sonst verloren bin. Schlafen ist ausgeschlossen, denn wenn ich die Augen schließe, nimmt die Übelkeit zu. Lesen kommt ebenfalls nicht in Frage. Menschen beobachten? Auf keinen Fall. Für eine tiefgründige Unterhaltung fehlt mir die nötige Konzentration und über Gefühle will ich gerade nicht sprechen. Eine stille Beschäftigung soll es sein und ich wähle den großen Flatscreen, der unweit in einer Ecke hängt.

Eine portugiesische oder brasilianische Soap flimmert über den Bildschirm. Ich verstehe kein Wort, die Schauspieler scheinen nicht besonders talentiert und auch die Handlung lässt meiner Meinung nach zu wünschen übrig. Aber bekanntlich soll man nicht die Hand beißen, die einen füttert. Immerhin bietet mir das Gerät die nötige Ablenkung und wird so zu meinem Rettungsanker. Ich klammere mich verbissen an die Handlung und die Darsteller. Ich bange, wenn eine Folge zu Ende geht und bin hocherfreut, wenn eine weitere beginnt. Völlig verkrampft schaue ich meine neue Lieblingsserie und presse dabei beide Füße fest auf den Boden. Mit angespannten Bauchmuskeln atme ich immer wieder tief ein und aus. Das scheint zu funktionieren. Während ich es auf diese Weise schaffe, mich in eine Art Trancezustand zu versetzen, entwickelt der Mann seine eigene Methode, um mit der Situation fertig zu werden. Er hat sich für den Blick auf den Atlantik entschieden und beobachtet das Auf und Ab von Schiff und Wellen und den Horizont, der mal da ist und mal nicht. Für mich ist das nichts. Für andere auch nicht. Je größer die Schwankungen werden, desto stärker nehmen die Würgegeräusche hinter uns zu. Ein Einheimischer nach dem anderen erbricht sich in seinen kleinen Plastikbeutel. Wieder und wieder. Ganz offensichtlich wurden sie an die richtigen verteilt. Hoffentlich haben sie nicht nur ihre, sondern auch unsere Tüten bekommen. Als alle Mägen leer sind, lassen Wind und Wellengang schlagartig nach. Der Hafen. Gleich da. Ein letztes Mal tief einatmen. Ausatmen. Geschafft.

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Fotocredit: zweites Bild © Matthias Zwanzig

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2 Comments

  • Reply gregor 23. Mai 2015 at 9:02

    hach ja, die seeübelkeit, schöne bilder, lachanregende geschichte, sehr hübsch gestaltete seite, sieht echt gut aus!

    • Reply Lu 30. Mai 2015 at 22:28

      Danke Gregor! Fürs Vorbeischauen und den ersten offiziellen Kommentar. :)

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