Breslau im Frühling: Vorspiel mit Hindernissen

3. Juni 2016

Autobahn
Wir fliegen dahin. Die Sonne scheint. Noch. Und dann ziehen vor uns auch schon dunkle Wolken auf und der Himmel kotzt sich mal so richtig aus. Ich habe das Gefühl, der hatte einiges in sich rein gefressen. Uns bleibt erstmal nichts anderes übrig, als uns vom schönen Wetter zu verabschieden. Wie aufmerksam, dass sich noch ein Regenbogen in doppelter Ausführung über die Straße krümmt. Mir gefällt dieses außerordentliche Engagement und für einen kurzen Moment drehe ich durch, weil es so schön ist. Aber dann sind die Farben aufgebraucht. Was bleibt, ist jede Menge Grau. Überraschend kommt das jetzt nicht. Der Wetterbericht hatte sowas schon angedeutet. Nur hatte ich es verdrängt. Mein Fehler.

Gute Fa(h)rt
Der Straßenbelag hat auch schon bessere Tage gesehen und so arbeiten wir ab der Grenze für ca. 70 Kilometer an einem kollektiven Schütteltrauma. Als wäre das nicht genug, riecht es im Auto gewaltig nach Furz, denn auf der Rückbank werden industriell gefertigte Minibuletten vom Discounter gereicht. Ich will gar nicht wissen, was daran so abartig stinkt. Die können doch nicht ernsthaft für den Verzehr geeignet sein. Ich halte die Luft an, bis ich blau anlaufe. Genug Zeit für dieses Geruchselend, sich durch die Fenster zu verflüchtigen.

Annäherung
Langsam, langsam ruckeln wir auf Wroclaw zu. Oder Breslau wie wir sagen. Ich weiß, was mich erwartet. 2012 sind wir dort ins neue Jahr geschlittert. Die Stadt und ich, wir kennen uns also schon ein wenig. Ich mag sie und freu mich wirklich, dass ich sie nun auch im Frühling erleben werde. Zur Einstimmung zeigt sich im Rückspiegel sogar die Sonne noch einmal, bevor sie als riesiger Feuerklops vom Himmel fällt. So einen fetten Sonnenuntergang habe ich, glaub ich, noch nie gesehen. Warum passiert einem sowas ausgerechnet dann, wenn man gerade auf der Überholspur über die Autobahn brettert? Ohhh, damnit!

Kein Anschluss unter dieser Nummer
Natürlich klopft der Regen pünktlich bei Überfahrt der Stadtgrenze wieder an. Erst zaghaft, dann mit Nachdruck. Strömend bei Ankunft. Die Telefonnummer, die wir zwecks Übergabe der Ferienwohnung anrufen sollen, ist nicht vergeben. Da stehen wir also. Schicken zur Überbrückung der schlechten Gefühle eine E-Mail ab. Vielleicht landet auch sie direkt im Nirwana. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Todeszeitpunkt wäre dann kurz nach 21 Uhr, aber da klingelt auch schon das Handy. Wo wir denn bleiben. Dank Buckelpisten-Autobahn sind wir eine Stunde später dran als geplant. Wie schön, dass doch jemand so intensiv auf uns wartet.

Merke: Ein Raumteiler macht aus einem Zimmer nicht zwei
Wir werden fast direkt am Marktplatz wohnen und die Adresse, zu der wir müssen, ist nicht weit entfernt. Ein junges Fräulein, das in einem zackig akzentuierten Englisch zu uns spricht, nimmt uns in Empfang und führt uns ins Haus. Die graue Metalltür fällt krachend hinter uns ins Schloss. Der Hausflur ist warm und dunkel. Sein Geruch ist eigen. Aus einer Kammer im Erdgeschoss wird emsig Bettwäsche zusammen gesucht. Dann laufen wir im Gänsemarsch die Treppe nach oben, die am Tag über den Lichtschacht sparsam erhellt wird. Jetzt gerade summt die Hausbeleuchtung vor sich hin. In der Wohnung wird es besser, fast schon gut. Nur das Schlafzimmer überrascht. Es hieß, es würde zwei davon geben. Der Raumteiler tut sein Bestes, kann jedoch nicht kaschieren, dass es nur eins ist und die Doppelbetten gemeinsam da stehen. Die Zurückhaltung verbietet jeglichen Kommentar. Dann eben Hostelfeeling oder Couchsurfen. Aber letzteres würde nur mit einer Tür Sinn ergeben und die wurde ausgehangen und verschleppt. Die Großfahndung wird eingeleitet, als das Fräulein in den verdienten Feierabend huscht. Erfolgreich. Auch die Herausforderung sie wieder mit den störrischen Scharnieren zusammenzubringen wird gemeistert. Wir sind Helden.

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Die Welt vorm Balkon
Der Blick wird in quadratische Häppchen geteilt, während er durch das Maschennetz gleitet, das der Taubenabwehr dient. Zuerst fällt er auf den roten, grell leuchtenden Schriftzug einer bekannten Drogeriemarkt-Kette am Haus gegenüber und ich stelle mal wieder fest, dass ich diese Globalisierung oft überhaupt nicht mag. Wozu fahre ich hunderte Kilometer, wenn überall alles gleich ist? Das ist doch bescheuert. Etwas enttäuscht perlt der Blick ab und fällt auf den kleinen Hof zu unseren Füßen. Der scheint gar nicht schlecht zu sein und erregt schon eher meine Aufmerksamkeit. Ein bisschen Grün und was zum Sitzen. Das kann ich im Dunkeln und zwischen vereinzelten Regentropfen erkennen. Genauso wie die Ratten, die in einem raschelnden Berg aus Mülltüten fröhlich quiekend Fangen spielen. Die meisten Menschen hassen Ratten. Ich nicht. Aber wahrscheinlich würde ich auch eine Holzkiste ins Herz schließen, wenn man ihr zwei Knopfaugen aufdrückt. Auch das ist irgendwie bescheuert. Zum Glück für alle anderen werden die kleinen Biester im Hof vom Freitagabendtrubel übertönt, der durch die Straßen weht und auch uns nach draußen zieht. Das Bedürfnis nach Nahrung schiebt uns zu den unzähligen voll besetzten Restaurants am Markt. Sie versprechen Gemütlichkeit und verströmen die Sehnsucht nach einem typisch polnischen Gericht. Das Wasser steht uns innerlich bis zum Hals, aber kurz vor 23 Uhr will keiner nochmal den Herd anwerfen und fremde Mäuler stopfen. Überall werden wir abgewiesen. Bevor wir einknicken und die knurrenden Mägen mit Fastfood zur Ruhe zwingen, finden wir einen Ort, an dem wir auch um diese Zeit noch mit Pirogen versorgt werden. Ein polnisches Bier löscht den Durst und die Welt ist für einen Moment wieder in bester Ordnung.

Geisterstunde kurz vor 6
Die Nachtruhe endet zum ersten Mal gegen 6. Betrunkene Hausgeister versuchen sich Zugang zu unserer Wohnung zu verschaffen. Sie halten sie für ihre. Und ich halte die für irre. Mehrmals rammen sie ihren Schlüssel in das Schloss, das nicht kompatibel ist und niemals sein wird. Wildes Klopfen und Fluchen. Dann wieder der Schlüssel. Klopfen. Ruhe. Wir starren auf die Innenseite der Tür, die sich nicht wehren kann. Mit hängenden Schultern nehmen wir zur Kenntnis, dass die Fremden sich draußen häuslich einrichten. Irgendwann wieder Klopfen, gefolgt vom längst überfälligen Geistesblitz. Sein Einschlag war deutlich zu hören. Wahrscheinlich befindet sich jetzt ein Krater vor der Tür. Die Trunkenbolde ziehen ab und poltern nun gedämpft eine Etage weiter oben herum, während wir uns noch eine Mütze Schlaf über ziehen.

Wieder wach
Nach dem zweiten Mal aufwachen, zeigt uns der Tag ein freundlicheres Gesicht. Das Wetter ist überraschend blau, mit ein paar fotogenen Wolken garniert und einer strahlenden Sonne, die bis zum Abend einen dezenten Frühlingsbrand auf der Haut hinterlassen wird. Es scheint ganz so, als wären nun alle Hindernisse aus dem Weg geräumt, um endlich mit Breslau zur Sache zu kommen.

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Ob das Wunschdenken oder Realität ist, erfährst du im zweiten Teil „Breslau im Frühling“.

Wenn ich du wäre, würde ich mir sicherheitshalber auch auf FacebookTwitter oder Instagram folgen, um hier nichts mehr zu verpassen. Deine Entscheidung. Überleg es dir gut.

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2 Comments

  • Reply Wagner 9. Juni 2016 at 21:55

    :) mal wieder ein Bericht, als wär man mittendrin … .. getreu dem Motto: Wer einmal eine Reise macht, hat immer was zu erzählen “ ;)

    Wie immer vom Charme der Erzählerin fasziniert :) bin ich gespannt auf die Fortsetzung

    • Reply Lu 9. Juni 2016 at 22:49

      :) Fortsetzung folgt. Ganz bald.

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